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Heike Bergemann. Foto: HS Gesundheit/ds

„Ein Gesundheitskiosk kann die Versorgung verbessern“

1. Februar 2023

Sie sollen eine Anlaufstelle für Menschen sein, die Unterstützung im Gesundheitssystem benötigen – Gesundheitskioske. Im Department of Community Health der Hochschule für Gesundheit (HS Gesundheit) in Bochum beobachten Wissenschaftler*innen die Entwicklung der neuen niedrigschwelligen Beratungsangebote aus zwei Perspektiven – der sozialraumbezogenen wie gesundheitsökonomischen. Auch eine Studierende der HS Gesundheit hat in ihrer Bachelorarbeit das Potenzial eines Gesundheitskiosks empirisch untersucht.

Am Beispiel der Wittener Innenstadt zeigt die wissenschaftliche Abschlussarbeit von Heike Bergemann, Absolventin des Studiengangs Gesundheit und Sozialraum an der Hochschule für Gesundheit, unter anderem, wie ein solcher Kiosk Gesundheitsförderung, Prävention und Gesundheitsversorgung aber auch Bildungs- und Teilhabechancen positiv beeinflussen kann. „Ein Gesundheitskiosk kann die Versorgung verbessern. Das Beratungsangebot verfolgt vor allem drei Ziele: Prävention, Förderung von Gesundheitskompetenz und Steigerung von Lebensqualität“, sagt Heike Bergemann und ergänzt: „Ein Gesundheitskiosk schafft Gesundheit und wehrt nicht nur Krankheit ab.“ Bei dem Beratungsangebot gehe es gerade darum, benachteiligten Bevölkerungsgruppen mit einem besonderen Unterstützungsbedarf Zugang zu gesundheitlichen Versorgungsangeboten zu ermöglichen. „Der Fokus liegt auf Familien in prekären Lebenslagen, aber auch auf Menschen mit Sprachbarrieren, geringen Kenntnissen in Gesundheitsfragen oder einer chronischen Erkrankung.“

Die Absolventin hat für ihre Bachelorarbeit nicht nur sozialraumbezogene Daten gesammelt, aufbereitet und ausgewertet, sondern auch mit Akteur*innen aus dem medizinischen, sozialen und kommunalen Bereich in Witten leitfadengestützte Interviews geführt. „Kinder und Jugendliche können aus Sicht der befragten Expert*innen ebenfalls Zielgruppe eines Gesundheitskiosks sein. Für sie könnten Beratungen zur mentalen Gesundheit oder aber zu Ernährung und Bewegung insbesondere zum Schutz vor einer Adipositas-Erkrankung angeboten werden.“ Auch ältere und pflegebedürftige Menschen seien von den Expert*innen als besonders zu beachtende Gruppe benannt worden. „Ein Gesundheitskiosk kann zum Beispiel helfen, für diese Gruppe ein sorgendes Netz durch Angehörige, Nachbarschaften, Pflegedienste oder Haushaltshilfen zu installieren.“

Heike Bergemann führt in ihrer Abschlussarbeit aus verschiedenen Perspektiven Gründe für die Errichtung eines Gesundheitskiosks an. „Die Kommune kann mithilfe eines solchen Kiosks und mit Blick auf den demografischen Wandel, aktiv daran mitarbeiten, vor Ort Chancengleichheit zu fördern, indem zum Beispiel ältere und pflegebedürftige Menschen, chronisch Erkrankte und Multimorbide frühzeitig und ganzheitlich beraten und begleitet werden können. So kann die Gesundheit und Lebensqualität der Betroffenen gesteigert und ein möglichst langes selbstständiges Leben im häuslichen Umfeld ermöglicht werden.“ Für beteiligte lokale Akteur*innen aus dem Sozial- und Gesundheitswesen liege der Nutzen eines solchen Kiosks einerseits in der stärkeren Vernetzung untereinander, was eine ganzheitliche Behandlung von Patient*innen fördern könne. „Andererseits unterstützt das neue Beratungsangebot Patient*innen auch darin, Arztbesuche nachzubereiten, was den Behandlungsverlauf fördert. Auch kann ein Gesundheitskiosk Wartezeiten auf einen Therapieplatz sinnvoll überbrücken. Für Ärzt*innen stellt ein solches Angebot eine Entlastung im Berufsalltag dar und aus Sicht der Krankenkassen könnte das zusätzliche Gesundheitsangebot mit Präventionscharakter zum Beispiel weniger Arztbesuche bis hin zu Krankenhausaufenthalten bedeuten.“

Heike Bergemann: „Das Beratungsangebot verfolgt vor allem drei Ziele: Prävention, Förderung von Gesundheitskompetenz und Steigerung von Lebensqualität.“

Heike Bergemann untersucht in ihrer Abschlussarbeit insbesondere die Fußgängerzone als Standort für einen Gesundheitskiosk, fügt zugleich aber an: „Um vulnerable Gruppen zu erreichen, braucht es daneben aufsuchende Angebote zu Menschen in anderen Stadtteilen. Dazu ist es wichtig, die Mitarbeitenden eines Gesundheitskiosks kultursensibel und in der Arbeit als Gesundheitslotse zu qualifizieren, der zu den Menschen hingeht und sie vor Ort in Gesundheitsfragen berät.“ Das Gesundheitssystem erfordere in vielen Dingen eine Eigenständigkeit, die Familien aufgrund von Informationsdefiziten oder Sprachbarrieren nicht leisten könnten. „Die Mitarbeiter*innen eines Gesundheitskiosks können unterstützen, die oft in Expertensprache verfassten gesundheitsrelevanten Informationen zu finden, zu verstehen und umzusetzen. Mit einem multiprofessionellen und mehrsprachigen Team kann ein solcher Kiosk helfen, Patient*innen zu selbstwirksamem, gesundheitsförderlichem Verhalten zu empowern.“

Prof. Dr. Heike Köckler, Professorin für Sozialraum und Gesundheit an der Hochschule sowie Erstprüferin der Arbeit, befürwortet das Konzept Gesundheitskiosk. „Ich sehe einen Gesundheitskiosk auch als Arbeitsplatz für akademisierte Fachkräfte, wie wir sie bei uns beispielsweise in den Studiengängen ‚Gesundheit und Sozialraum‘, ‚Gesundheit und Diversity‘ oder im Pflegestudium ausbilden. Unsere Absolvent*innen lernen interprofessionell zu arbeiten und haben die Kompetenz, Versorgungslücken aufzudecken und Impulse zur Überwindung dieser zu liefern.“

Für Heike Bergemann ist der akademische Weg nach dem Abschluss des Bachelorstudiums nicht zu Ende. Sie geht ihn an der HS Gesundheit weiter. „Mir hat das Bachelorstudium so viel Spaß gemacht, dass ich mich direkt fürs Teilzeit-Masterstudium Gesundheit und Diversity in der Arbeit beworben habe.“ Das Interesse an ihrer Bachelorarbeit ist derweil groß, mehrere Städte haben die Arbeit angefragt, Einrichtungen in Witten haben sie bereits gelesen. „Es ist eine beeindruckende Arbeit, mit der die Wissenschaft die Praxis unterstützt, sich neue Wege in der Gesundheitsförderung anzusehen“, sagt Rolf Kappel von der Caritas Witten. Welche Handlungsempfehlung er besonders herausgelesen hat? „Ein Gesundheitskiosk sollte eine bunte Tüte Gesundheit sein und als regionales Projekt vor allem von und mit den Akteur*innen vor Ort gemeinsam entwickelt werden.“ Auch Klaus Völkel von der Stadt Witten kennt die Bachelorarbeit: „Kommunale Gesundheitsförderung ist ein wichtiges Thema und das Wissen darüber aus der Hochschule wertvoll für die Arbeit vor Ort. Daher halte ich den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis für wichtig. Ich finde es gut, dass Studierende in ihren Abschlussarbeiten Fragestellungen aus der Praxis heranziehen. Durch solche Arbeiten mit einem hohen Anwendungsbezug können wir mit- und voneinander lernen.“

Prof. Dr. Heike Köckler: „Ich sehe einen Gesundheitskiosk auch als Arbeitsplatz für akademisierte Fachkräfte, wie wir sie bei uns ausbilden.“
Foto: shutterstock/hxdbzxy
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