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Foto: HS Gesundheit

Für mehr Krebsprävention: Gesundheitsinformationen in Leichter Sprache

26. April 2024

Wie kann die Teilnahme von Menschen mit Lernschwierigkeiten oder sogenannter geistiger Behinderung an Angeboten zur Krebsvorsorge und -früherkennung erhöht werden? Drei Jahre sind die Evangelische Stiftung Volmarstein, die Krebsgesellschaft Nordrhein-Westfalen e.V., die Hochschule für Gesundheit (HS Gesundheit) in Bochum und die Ärztekammer Nordrhein der Frage nachgegangen. Im gemeinsamen Projekt „Leicht gesagt und einfach gemacht: Vorsorge und Früherkennung von Darm- und Hautkrebs“, das Ende 2023 seinen Abschluss fand, haben sie Informationsmaterialien in Leichter Sprache entwickelt und Wege zur Erreichung der Zielgruppe aufgezeigt. Gefördert wurde das Projekt von der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW. Im Interview blicken Projektleiterin Annika Nietzio vom Kompetenzzentrum Barrierefreiheit der Evangelischen Stiftung Volmarstein und Prof. Dr. Tanja Segmüller, Professorin für Alterswissenschaften an der HS Gesundheit, auf das Projekt zurück.

Projektleiterin Annika Nietzio vom Kompetenzzentrum Barrierefreiheit der Evangelischen Stiftung Volmarstein. Foto: Kompetenzzentrum Barrierefreiheit Volmarstein / Kirsten Neumann

Anlass des gemeinsamen Projektes war eine aktuelle Studie. Welches Ergebnis legte diese offen?

Annika Nietzio: Damals kam eine Studie der Ärztekammer Nordrhein und der Universität Witten/Herdecke zu dem Ergebnis, dass Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung seltener als die Allgemeinbevölkerung Untersuchungen zur Vorsorge und Früherkennung einer Krebserkrankung in Anspruch nehmen. Dies traf laut der Studie insbesondere auf invasive Vorsorgeuntersuchungen wie etwa die Darmspiegelung zu. In vielen Wartezimmern in Arztpraxen liegen heutzutage zwar Informationen zur Krebsprävention aus, diese erreichen Menschen mit Lernschwierigkeiten oder sogenannter geistiger Behinderung aber oftmals nicht. Wir möchten das ändern und den Zugang zur Krebsprävention – insbesondere zur Früherkennung von Darm- und Hautkrebs – für diese Zielgruppe verbessern. Darmkrebs, aufgrund der Ergebnisse besagter Studie und Hautkrebs, weil er mit zu den häufigsten Krebsarten gehört und gerade bei jüngeren Menschen eine zunehmende Tendenz beobachtet wird.

Wie sind Sie dann im Projekt vorgegangen?

Prof. Dr. Tanja Segmüller: Studien zeigen, dass sich neu erarbeitete Ansätze leichter über den Aspekt der direkten Teilhabe in der Praxis verstetigen. Uns war es wichtig, partizipativ zu forschen und alle Zielgruppen – Menschen mit Lernschwierigkeiten oder sogenannter geistiger Behinderung, Ärzt*innen aber auch Mitarbeitende in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen – frühzeitig am Projekt zu beteiligen. Vor diesem Hintergrund haben wir in einem ersten Schritt wissenschaftliche Umfragen konzipiert und hybrid durchgeführt, um aus erster Hand die Bedarfe der unterschiedlichen Zielgruppen zu erfragen.

Was hat die Auswertung dieser Umfragen ergeben?

Annika Nietzio: Die Umfragen legten offen, dass sich Menschen mit Lernschwierigkeiten oder sogenannter geistiger Behinderung Informationsmaterialien in Leichter Sprache wünschen, die für sie leicht verständlich und vor allem bildlich erklärt sind, dabei nicht zu stark vereinfacht und ohne etwas Wesentliches wegzulassen. Außerdem wünschten sie sich auch mündliche Informationen in Leichter Sprache etwa in Gesprächen mit Ärzt*innen.

Foto: HS Gesundheit
Prof. Dr. Tanja Segmüller, Professorin für Alterswissenschaften an der HS Gesundheit.

Prof. Dr. Tanja Segmüller: Die Ärzt*innen spiegelten ebenfalls Bedarfe an barrierefreien Informations- und Kommunikationsmaterialien wider. Für viele Ärzt*innen war der Bereich Leichte Sprache Neuland. Außerdem zeigten sie sich offen gegenüber Tipps für ein Patient*innengespräch in Leichter Sprache. Somit hatten wir das Projektziel schnell gesteckt: Unser Leitgedanke war es nicht, die Menschen mit erhobenem Zeigefinger zur Krebsprävention zu schicken. Wir wollten gedruckte und digitale Informationsmaterialien in Leichter Sprache entwickeln und einfache Zugangswege, über die die Menschen besser erreicht werden können, ermöglichen, damit die Menschen die selbstbestimmte Entscheidung treffen können, welche Untersuchungen zur Krebsvorsorge und -früherkennung sie wahrnehmen möchten.

Annika Nietzio: Aufklären und für die Krebsvorsorge und -früherkennung motivieren, das war unser Ziel und da kann die Leichte Sprache viel bewirken, weil sie Kommunikationsbarrieren abbaut. Texte in Leichter Sprache haben einfache und klare Satzstrukturen, benutzen keine Füll- oder Fremdwörter, haben nur eine begrenzte Anzahl an Wörtern pro Satz, dafür aber viele ausdrucksstarke Bilder. Das macht Informationen für Menschen mit Lernschwierigkeiten oder einer sogenannten geistigen Behinderung leichter les- und nachvollziehbar.

Was hat das Projekt erreicht: Welche Informationsmaterialien in Leichter Sprache sind entstanden?

Annika Nietzio: Wir haben zwei Info-Hefte mit Informationen zur Darmkrebs- und Hautkrebsfrüherkennung sowie zum Schutz der Haut entwickelt und eine Reihe von Info-Blättern, die einzelne Aspekte herausgreifen wie Informationen zur Ernährung oder zur Einnahme eines Abführmittels in Vorbereitung zur Darmspiegelung oder mit Hinweisen zur Durchführung eines Stuhltests. Weitere Info-Blätter geben unter anderem eine Anleitung für die Selbstuntersuchung der Haut. Außerdem haben wir einen Aufsteller für zu Hause oder die Arbeit entworfen, der erklärt, wie wir uns jeden Tag richtig vor Sonnenstrahlen schützen. Postkarten, die gut in die Tasche passen, helfen beim Einkauf von Sonnenschutzmitteln oder der richtigen Sonnenbrille. Es gibt ein Plakat zur Krebsvorsorge, barrierefreie Erklärfilme und kleinformatige Info-Karten, deren Stichpunkte helfen, das Gespräch in der Praxis zu Hause zu rekonstruieren.

Prof. Dr. Tanja Segmüller: Auf der anderen Seite gibt es Info-Materialien mit Tipps für Menschen mit Lernschwierigkeiten oder sogenannter geistiger Behinderung, wie sie Leichte Sprache im Gespräch mit Ärzt*innen einfordern können, und für die Arztpraxen zum Beispiel einen Tischaufsteller. Er ist eine Bildersammlung mit Formulierungshilfen in Leichter Sprache für das Ärzt*innen-Patient*innen-Gespräch. Menschen, die Leichte Sprache benötigen, trauen sich häufig nicht bei Ärzt*innen Fragen zu stellen. Wir möchten sie mit den Materialien empowern, weil Nachfragen zur eigenen Gesundheit, zu medizinischen Themen wichtig sind. All die verwendeten Bilder hat übrigens eine Zeichnerin extra für uns illustriert, weil wir früh im Projekt gemerkt haben, dass Bilder ein starkes und leicht verständliches Transportmittel für Botschaften sind. Die erstellten Materialien wurden in einer dreimonatigen Pilotierungsphase von haus- und fachärztlichen Praxen, Medizinischen Zentren und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen auf Herz und Nieren getestet. In Onlineumfragen und persönlichen Interviews haben wir anschließend erfragt, wie die Informationen gelesen, verstanden und im Alltag genutzt werden.

Prof. Dr. Tanja Segmüller: „Es sind über 30 evidenzbasierte, passgenaue Gesundheitsinformationen entstanden, die gebraucht und genutzt werden.“

Mit welchem Feedback?

Annika Nietzio: Die Informationen müssen dort ankommen, wo sie gebraucht werden und unsere Praxistests haben genau das widergespiegelt, weshalb sämtliche Materialien nun dauerhaft von der Krebsgesellschaft NRW zur Verfügung gestellt werden. Die ärztliche Akademie für medizinische Fort- und Weiterbildung der Ärztekammer Nordrhein hat außerdem das im Projekt entwickelte Online-Schulungsangebot für Ärzt*innen „Leichte Sprache im Patientengespräch“ in ihr Programm für 2024 aufgenommen. Das Seminar gibt eine Einführung in die Leichte Sprache, besteht aus einem E-Learning-Anteil mit theoretischen Inhalten zur barrierefreien Kommunikation und bietet die Möglichkeit, mit Übungen und Rollenspielen individuelle Ärzt*innen-Patient*innen-Gespräche in Leichter Sprache zu trainieren und festigen.

Prof. Dr. Tanja Segmüller: Wir ziehen eine richtig gute Bilanz. Es sind über 30 evidenzbasierte, passgenaue Gesundheitsinformationen entstanden, die gebraucht und genutzt werden. Materialien, die Menschen in ihren Lebenswelten abholen, die Klarheit bringen, Unsicherheit und Ängste minimieren. Das Projekt ist ein Best Practice, das durchaus auf weitere Krankheitsbilder angewendet werden könnte.

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