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Zu sehen ist Lisa Preissner.
Foto: hsg Bochum/jmj

Hilfe aus dem 3D-Drucker

11. November 2020

Erst gibt es ein leise surrendes Geräusch und dann riecht es nach verschmortem Plastik – einige Minuten später kann man schon erahnen, was entstehen soll. Schicht für Schicht trägt der Drucker das erhitzte Material auf eine Platte auf. So entsteht ganz langsam ein dreidimensionales Objekt. Entworfen hat es Lisa Preissner – sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Gesundheit und erforscht dort, wie man digitale Fortschritte für Menschen mit einer Beeinträchtigung nutzbar machen kann.

Preissner hat Rehabilitationswissenschaften an der Technischen Universität Dortmund studiert und nach ihrem Masterabschluss 2019 angefangen, an der Hochschule für Gesundheit (hsg Bochum) zu arbeiten. Rehabilitationswissenschaft nimmt Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen in den Fokus und setzt sich Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe an allen Lebensbereichen für diese Personengruppe zum Ziel. Die Erfahrungen aus ihrem Studium verbindet Preissner an der Hochschule für Gesundheit nun mit ihrer Faszination für Technik. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Forschungsprojekt ‚Emscher-Lippe hoch 4‘ (EL4), an dem neben der hsg Bochum noch sieben weitere Partner beteiligt sind. Das Projekt will Digitalisierungsprozesse auf unterschiedlichen Ebenen erforschen, um daraus Handlungsempfehlungen für die Region ‚Emscher-Lippe‘ abzuleiten.

Ziel: Individuelle Hilfsmittel

„Ich finde, Digitalisierung ist unsere Zukunft und damit lässt sich innerhalb der Gesellschaft viel bewegen“, erzählt Lisa Preissner. Sie hat mit der Stelle in dem Forschungsprojekt für sich auch inhaltliches Neuland betreten. „Ich würde sagen, dass ich schon immer technikaffin war, aber mit Themen wie 3D-Druck hatte ich mich vorher noch nicht auseinandergesetzt“, erzählt sie.

Das Department of Community Health (DoCH) der hsg Bochum ist seit 2019 Partner des Projektes Emscher Lippe hoch 4. Seitdem hat das DoCH eine Kooperation zwischen dem Projekt und dem Interessenverband Contergangeschädigter Nordrhein-Westfalen ausgebaut. Ziel bei der Zusammenarbeit ist es, mit Hilfe digitaler Fertigungsmethoden wie dem 3D-Druck individualisierte Hilfsmittel für contergangeschädigte Menschen anzufertigen. Lisa Preissner begleitet diesen Prozess wissenschaftlich und praktisch.

"Digitalisierung ist unsere Zukunft und damit lässt sich innerhalb der Gesellschaft viel bewegen"

„Bei der Einführung und Nutzung von digitalen Technologien stellen wir immer wieder fest, wie schwierig es ist, Anwender*innen und Techniker*innen zusammen zu bringen. Hier braucht es eine Scharnierfunktion. Aus genau diesem Grund haben wir ja auch den Studiengang Gesundheitsdaten und Digitalisierung entwickelt, um ein entsprechendes Berufsbild mit aufzubauen. Lisa Preissner als Rehabilitationswissenschaftlerin versteht beide Seiten und kann den Brückenschlag herstellen“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Deiters, Professor für Gesundheitstechnologien an der hsg Bochum.

Von der Idee zum fertigen Objekt

Eines der ersten Projekte von Lisa Preissner war eine Schlüssel-Drehhilfe. Diese ist für Menschen, die aufgrund einer Dysmelie – also einer angeborenen Fehlbildung einer oder mehrerer Gliedmaßen – keine Drehbewegung im Handgelenk ausführen können, gedacht und hilft ihnen, selbstständig eine Tür aufzuschließen. Über den Interessenverband Contergangeschädigter Nordrhein-Westfalen hatte sich eine Gruppe Betroffener gemeldet, weil die Schlüsselhilfe, die sie bereits im Alltag verwendeten, nicht mehr hergestellt wurde und sie einen Ersatz suchten.

Lisa Preissner sollte nur herausfinden, wie eine solche Schlüssel-Hilfe produziert werden könnte und wie man sie für weitere Schlüsselformen anpassen könnte. „Wir haben zunächst einen 3D-Scan von der vorhandenen Schlüsselhilfe gemacht. Die Form für die anderen Schlüsselköpfe habe ich dann selbst am Computer erstellt“, erklärt Preissner.

 

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„Um ein Objekt herzustellen, dass im 3D-Drucker gedruckt wird, braucht es viel räumliche Vorstellungskraft. Man startet mit einer Skizze in einem speziellen Computerprogramm und rechnet diese später so um, dass der Drucker sie aus einzelnen Schichten herstellen kann“, beschreibt Preissner den Prozess. Hilfe bei der Umsetzung hat sie auch durch den Kontakt mit ihren Kolleg*innen im Projekt Emscher-Lippe hoch 4 bekommen. „Es ist wichtig sich mit der Community auszutauschen. Das Fabrikationslabor des Projektes an der Hochschule Ruhr West – wir nennen es FabLab – ist ein guter Ort, um sich auszutauschen“, so Preissner. Andere Inspirationen aus der Welt der digitalen Fertigungsmethoden holt sich die wissenschaftliche Mitarbeiterin über sogenannte ‚Maker‘-Zeitschriften oder in Internet-Videos. Der Begriff ‚Maker‘ beschreibt eine eigene Subkultur von Menschen, die sich dem Tüfteln und Basteln verschrieben haben und dabei gern moderne Techniken einsetzen.

Eine erste Version der neuen Schlüsselhilfe zu drucken dauerte etwa zwei Stunden. „Bei der Druckdauer kommt es auch darauf an, wie fein die Oberfläche des Objektes werden soll“, so Preissner. Bevor man das Objekt aus dem Drucker nimmt, muss man außerdem einen Moment abwarten, denn sowohl das gedruckte Objekt, als auch die Trägerplatte sind am Anfang noch sehr warm.

Das richtige Material finden

Der Prototyp für die Schlüsselhilfe wurde an die Betroffenen weitergeben und diese haben sie dann im Alltag getestet. „Die ersten Rückmeldungen waren positiv, aber es gab auch Verbesserungspotential“, erinnert sich Preissner. „Das Material, mit dem wir zuerst gedruckt haben, ist relativ schnell gebrochen. In so einen Fall muss man dann prüfen, ob man etwas umkonstruieren muss oder ein anderes Material verwenden kann“, fügt sie hinzu.

Wenn sie über die einzelnen Druckmaterialien spricht, kommt Lisa Preissner ein wenig ins Schwärmen. Sie berichtet von biegsamen Materialien, von matten und glänzenden und solchen die extra leicht oder eben besonders robust sind. Für alle Varianten hat sie ein Probestück griffbereit – der Schreibtisch ist voll von 3D-gedruckten Stücken jeder Art. „Mir macht es unfassbar Spaß mir neben meinem pädagogischen Wissen noch so etwas ganz Konträres, Technisches anzueignen“, erzählt die Rehabilitationswissenschaftlerin.

Nächster Schritt: Wissenschaftliche Interviews

Aber auch der Kontakt mit den Betroffenen macht Preissner Freude. „Es ist ein tolles Gefühl, wenn man sieht, dass man Menschen mit seiner Arbeit den Alltag ein Stück erleichtern kann. Die Zusammenarbeit macht mir deshalb großen Spaß“, berichtet Preissner.

Im nächsten Schritt soll nun die tatsächliche wissenschaftliche Arbeit folgen. Preissner will den Prozess zwischen Makern und Menschen mit Beeinträchtigungen wissenschaftlich erfassen und auswerten, wo es noch Hürden und Entwicklungspotential gibt. „Das Projekt Schlüsselhilfe war auch wichtig, damit ich mich mit der Materie vertraut machen konnte. Als nächstes werden wir an der hsg Bochum zu den wissenschaftlichen Interviews übergehen. Das Projekt ist aber weiterhin für Anfragen von Betroffenen offen und fertigt gern mit ihnen zusammen individuelle Hilfsmittel an“, so Preissner.


Projekt Emscher-Lippe hoch vier:

Das Forschungsprojekt ‚Emscher-Lippe hoch 4‘ wird vom Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert. Die Projektpartner sind: Hochschule Ruhr West (Konsortialführung), Stadt Bottrop, Bottroper Werkstätten (Diakonie), Hochschule für Gesundheit, matrix GmbH & Co. KG, Sozialforschungsstelle Dortmund (sfs), Zentrale Wissenschaftliche Einrichtung der TU Dortmund, Bergische Universität Wuppertal, Institut SIKoM und e.b.a. gGmbH.

In dem Film ‚Emscher-Lippe hoch 4: Individualisierte Hilfsmittel aus dem 3D-Drucker‘ werden weitere Beispiele für individuelle Hilfsmittel aus digitalen Fertigungsmethoden gezeigt, die in dem Projekt Emscher-Lippe hoch 4 entstanden sind:

Das Bild zeigt einen leeren Seminarraum an der HS Gesundheit.
Screenshot: hsg Bochum/jmj
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