Von Basel nach Bochum
Wie hängen unerwünschte pflegespezifische Ereignisse mit der individuellen Pflegepersonalausstattung in deutschen Krankenhäusern zusammen? Dieser Frage geht Dr. Stefanie Bachnick an der Hochschule für Gesundheit mit einem Team von Nachwuchswissenschaftler*innen nach. Eine Herausforderung, für die die gebürtige Rostockerin nach Jahren der Schweiz den Rücken kehrte.
Sie wirkt wie jemand, der alle Fakten parat und das Ziel klar im Blick hat. Die Antworten kurz und knapp. Die Vita straff in drei Sätze gepackt – und das, obwohl Dr. Stefanie Bachnick in ihren 36 Lebensjahren schon eine Menge erreicht und erlebt hat. Aktuell zum Beispiel richtet sie sich mit Mann und Kind in Bochum ein. Forschung und Familie laufen da schon parallel, auch wenn es mit Wohnungssuche, Kita-Platz und neuer Umgebung am Anfang so einiges zu stemmen gibt. Ganz schön viel Bürokratie in Deutschland. Wenige Betreuungsplätze. Mit der Frage nach Patientensicherheit und dem Zusammenhang mit der Pflegepersonalausstattung ist Dr. Stefanie Bachnick bereits mitten im Job und ihrem Forschungsprojekt: Derzeit leitet sie die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung über drei Jahre hinweg mit rund 776.900 Euro geförderte und am Department für Pflegewissenschaft der Hochschule für Gesundheit angesiedelte TAILR.DE-Studie.
TAILR.DE ist eine Abkürzung und steht für „Nursing-sensiTive events and the Association with IndividuaL nuRse-staffing levels in German hospitals“. „Es geht um den Zusammenhang zwischen unerwünschten pflegespezifischen Ereignissen und der individuellen Pflegepersonalausstattung“, erklärt Bachnick. „Wir führen die Studie in Deutschland in vier Krankenhäusern in NRW durch. TAILR.DE ist Teil des internationalen TAILR-Konsortiums, es sind also noch mehrere Länder beteiligt: Schweden, der Iran und die Schweiz gehören aktuell dazu.“
Der Blick auf internationale Zahlen sei ein Grund, auch in Deutschland genauer hinzuschauen. Internationale Studien zeigen: dass bis zu 75 Prozent der unerwünschten Ereignisse, die bei Patient*innen in Krankenhäusern auf medizinischen und chirurgischen Stationen festgestellt werden, als pflegespezifisch gelten. Bachnick: „Das können Druckgeschwüre sein, eine Blutvergiftung, eine im Krankenhaus erworbene Infektion oder ein Sturz. Für die Studie haben wir solche unerwünschten Ereignisse definiert, die wir aus den Akten der Patient*innen in unseren vier Kooperationskrankenhäusern systematisch erheben.
Beim Blick auf die Personalausstattung schaue man genau auf den Kontext: „Wir berücksichtigen jeden Tag und jeden Dienst. Aktuelle Studien erheben meistens zusammengefasst den ganzen Tag, aber im Tagdienst benötigen die Patient*innen meistens mehr Unterstützung, da braucht es mehr Pflegepersonal als im Nachtdienst, wenn die meisten Patient*innen schlafen.“ In einem Beobachtungszeitraum von 16 Wochen werden die Daten erhoben und anschließend analysiert. Welche unerwünschten Ereignisse wurden identifiziert? War das unerwünschte Ereignis vermeidbar? Ist ersichtlich, wie das unerwünschte Ereignis entstanden ist? Aber auch: Wie viele Pflegenden mit welchem Abschluss arbeiteten auf der Station? „Diese detaillierte Erhebungsmethode bietet uns die Möglichkeit, unterbesetzte Dienste zu ermitteln. Ziel ist es, Strategien zur Gewährleistung einer angemessenen Pflegepersonalausstattung zu entwickeln, um unerwünschte pflegespezifische Ereignissen im Krankenhaus zu reduzieren.“
Danach folgt zusätzlich der internationale Blick: „So erfahren wir, wie es in den anderen Ländern ist. Gibt es dort womöglich weniger unerwünschte Ereignisse? Und wenn ja: Woran liegt das? Weil mehr Personal da ist? Werden die Dienste anders geplant? Wird das Personal anders eingesetzt? Gibt es andere Schichtdienststrukturen? Was können wir daraus lernen?“ Die Projektleitung des vierköpfigen Teams, das neben ihr noch aus der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Kathrin Müller, der Data Managerin Katja Falta und der Mentorin Prof. Dr. Daniela Holle besteht, brachte Dr. Stefanie Bachnick nach Jahren im Ausland wieder zurück nach Deutschland: „Eigentlich komme ich aus einem kleinen Dorf bei Rostock. Dort bin ich aufgewachsen und habe nach dem Abitur eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin in Hamburg abgeschlossen“, erzählt sie. Nach anderthalb Jahren im Beruf zog es sie weiter – „nach Berlin zum Studieren. Pflegepädagogik und Pflegewissenschaft an der Charité und an der Humboldt Universität. Pädagogik zu studieren war mir wichtig, denn auch wenn ich nicht mehr in der Praxis arbeitete, hatte ich Spaß daran, mit jungen Leuten zusammen zu sein, sie auszubilden und mit ihnen zu arbeiten.“
„Ich freue mich sehr über die einmalige Chance und neue Herausforderung, eine eigene Nachwuchsgruppe zu leiten.“
Im Oktober 2013 geht sie für ein Forschungspraktikum in die Schweiz. Nach Bern. Dort schreibt sie auch ihre Diplomarbeit zu Ende, bewirbt sich auf ein Doktorat in Basel, das sie 2018 beendete. Mit dem Wechsel nach Bochum gehen für die junge Wissenschaftlerin sieben Jahre Schweiz zu Ende. Eine Mischung aus Wehmut und Neubeginn: „Die Zeit in der Schweiz hat mir sehr gefallen. Doch ich freue mich sehr über die einmalige Chance und neue Herausforderung, eine eigene Nachwuchsgruppe zu leiten. Besonders reizvoll ist für mich die enge Zusammenarbeit mit beteiligten Akteuren in den Kooperationsklinken und die Heterogenität der Kliniken“.
Nach ihrem Weg von der Ostsee über die Elbe an die Spree und an den Rhein, ist es jetzt also die Ruhr, die Dr. Stefanie Bachnick jetzt für sich erkundet. Und das Ruhrgebiet ist für sie tatsächlich noch ein weißer Fleck: „Ich kenne die Gegend überhaupt nicht. Was ich bislang von Bochum kennenlernte, hat mir gut gefallen. Es ist grüner als ich gedacht hab, das hat mich sehr überrascht. Der Kemnader See ist super zum Joggen – und es gibt noch so einiges zu entdecken.“