Als werdende Hebamme in der Schweiz
Carine Dietz studiert im vierten Semester im Bachelorstudiengang an der Hochschule für Gesundheit (hsg) Hebammenkunde und hat die Chance genutzt, eine Praxisphase im Ausland zu absolvieren. Im hsg-magazin berichtet sie von den Erfahrungen, die sie gerade (im August 2017) in einem Geburtshaus in der Schweiz macht, und vor allem darüber, was ihr für Unterschiede zwischen dem Hebammen-Beruf in der Schweiz und in Deutschland auffallen. In der Schweiz kann man seit 2008 nur noch durch ein Studium an einer Fachhochschule zur Hebamme beziehungsweise zum Entbindungspfleger werden.
„In den acht Semestern des Studiums der Hebammenkunde an der hsg haben wir einen regen Wechsel zwischen Phasen an der Hochschule und der Praxis. Mir gefallen besonders die Praxisphasen, denn dann erfährt man ganz genau, wie später einmal die eigene Arbeit aussehen wird. Der ständige Wechsel zwischen Theorie und Praxis samt des Pendelns zwischen dem Hochschulort Bochum und dem jeweiligen Praxisort ist zwar manchmal etwas stressig, aber so wird es auch nie langweilig. Am Ende des vierten Semesters, was ja für mich genau jetzt ist, ist ein außerklinischer Praxiseinsatz vorgesehen, für den wir den Ort frei wählen dürfen. Wir können also mit einer freiberuflichen Hebamme oder einem freiberuflichen Entbindungspfleger, in einer Praxis oder in einem Geburtshaus tätig sein. Da dies eine tolle Möglichkeit ist, auch einmal ins Ausland zu gehen, wählte ich ein Geburtshaus in der deutschsprachigen Schweiz. Ich wollte einmal über den Tellerrand des deutschen Hebammenwesens schauen und etwas ganz Neues kennenlernen. Da das Geburtshaus und die hsg bereits in vorherigen Jahren kooperiert hatten, liefen die Absprachen für meinen Auslandsaufenthalt problemlos ab.
Das Geburtshus Storchenäscht in Othmarsingen
Das Geburtshaus, in dem ich gerade tätig bin, heißt Geburtshus Storchenäscht und liegt eine halbe Stunde von Zürich entfernt im Dorf Othmarsingen. Es hat mehrere angestellte Hebammen und verfügt über eine kleine Wohnung direkt auf der anderen Straßenseite, in der ich mit einer anderen Studentin wohne. Das Geburtshaus ist ein altes, aber geschmackvoll renoviertes Haus, das über einen großen Garten samt Spielplatz verfügt. Es hat zwei Gebärsäle, fünf Wöchnerinnenzimmer, einen Aufenthaltsraum mit großer Spielecke, einen Speiseraum und eine große Küche. Die Frauen kommen hierhin nicht nur zur Geburt, sondern auch zu Schwangerschaftskontrollen. In der Regel bleiben die die Frauen hier auch noch ein paar Tage nach der Geburt – oft auch zusammen mit ihrem Mann. Später werden die Frauen auch zu Hause weiter von den Hebammen des Geburtshauses betreut.
Als Hebammenstudentin begleite ich hier vorrangig die Hebammen bei ihrer alltäglichen Arbeit. Im Geburtshaus bin ich zwar erst seit ein paar Tagen, durfte aber schon bei allen möglichen Kontrollen und Beratungen assistieren und diese teilweise auch schon selbst durchführen. Ich durfte außerdem schon Schwangerschaftskontrollen und Wochenbettbesuche bei den Frauen zu Hause durchführen und war bei zwei Geburten dabei. Bis zum Ende unseres Studiums müssen wir ja insgesamt 40 Geburten selbständig durchgeführt haben. Dabei ist natürlich immer eine fertig ausgebildete Kraft anwesend, aber wir Studierenden müssen so schon früh lernen, auch eigenständig zu arbeiten und Verantwortung zu übernehmen.
Deutschland und die Schweiz: Ein Vergleich
Viele Dinge sind in einem Geburtshaus in Deutschland wahrscheinlich ähnlich. Aber es gibt doch ein paar Unterschiede: Die Hebammen und Entbindungspfleger nehmen hier zwar grundsätzlich auf dem Papier die gleiche Rolle wie in Deutschland ein, dürfen aber praktisch mehr, da ihnen das Gesundheitssystem mehr Möglichkeiten gibt, ihre Fähigkeiten anzuwenden. So dürfen sie zum Beispiel Screenings von Neugeborenen oder Abstriche bei Schwangerschaftskontrollen ausführen, die in Deutschland nur gynäkologisches oder kinderäztliches Fachpersonal vornehmen darf. Daneben gibt es hier eine zumindest halbwegs adäquate Vergütung. Denn was die Finanzen einer freiberuflichen Hebamme oder eines freiberuflichen Entbindungspflegers angeht, ist Deutschland leider eine Katastrophe – ich denke hier zum Beispiel an die Haftpflichtversicherung. In der Schweiz ist die Bezahlung eindeutig besser geregelt. Außerdem durfte das Geburtshaus sich hier offiziell auf die Krankenhausliste eintragen lassen, was zwar auch in der Schweiz einmalig ist, aber in Deutschland schlichtweg undenkbar wäre. Letztendlich ist also im direkten Kontakt mit den Frauen zwar kein so großer Unterschied, aber von der Arbeitsorganisation, dem Arbeitsfeld und der Akzeptanz gegenüber diesem Beruf – auch von Seiten der Politik – schon. Dies macht die freiberufliche Arbeit in der Schweiz definitiv einfacher als die in Deutschland und ich bin froh, dies durch einen Praxiseinsatz außerhalb von Deutschland einmal mitbekommen zu haben. Es gibt mir sogar fast schon Lust, hier nach meinem Studium anzufangen. Nach dem Studium an der hsg wäre dies ja tatsächlich möglich.
Auch die Ausbildung ist in der Schweiz übrigens anders als in Deutschland. Zunächst einmal gibt es nur einen Bildungsweg, nämlich das Studium mit Praxisphasen. Das ähnelt ja sehr der akademischen Ausbildung bei uns an der hsg. Allerdings gibt es in der Schweiz eine Anwesenheitspflicht und eine Vergütung. Um das Studium überhaupt erst anfangen zu können, muss in der Schweiz eine theoretische Aufnahmeprüfung bestanden werden und es erfolgt ein persönliches Gespräch mit einer Lehrkraft. Bei uns an der hsg wird die Auswahl für das Studium ganz einfach durch den Numerus Clausus geregelt.
Aus meiner Sicht müsste die Politik in Deutschland unbedingt etwas unternehmen, um das Image des Berufs der Hebamme und des Entbindungspflegers zu verbessern. Schon jetzt gibt es ja einen Hebammenmangel an vielen Orten in Deutschland. Das könnte in den nächsten Jahren zunehmend zu einem Problem werden. Ich bin auf jeden Fall froh, Hebamme werden zu können und bin auch sehr zufrieden, dass ich das an einer so modernen Hochschule wie der hsg machen darf.
Mehr als nur ein Beruf
Dass ich Hebamme werden wollte, war für mich schon mehr eine Berufung als ein einfacher Wunsch. Seitdem ich ungefähr 11 Jahre alt war, möchte ich Hebamme werden. Ich war einfach schon immer von schwangeren Frauen und noch mehr von Kindern und Babys fasziniert. Da ich sowieso etwas mit Menschen zu tun haben wollte und meine Eltern beide aus dem medizinischen Bereich kommen, war für mich Hebamme als Berufswahl also recht naheliegend. Meine Oma war es dann, die von der Gründung der hsg gehört hatte (sie wohnte in Dortmund) und mir davon erzählt hat. Ich wollte eigentlich schon immer studieren und habe mich deswegen sehr gefreut, dass man Hebammenkunde nun auch in Deutschland studieren kann. So stellte sich für mich gar nicht mehr die Frage nach einer Alternative, woraufhin ich mich dann auch nur an der hsg und an keiner anderen Hochschule bewarb. Das war vielleicht etwas gewagt, aber es hat funktioniert und nun habe ich schon die Hälfte meiner Studienlaufbahn geschafft.
Die Zeit hier in der Schweiz vergeht schnell – vielleicht ein bisschen zu schnell… Jeden Tag bekomme ich neue Eindrücke, mache neue Erfahrungen und lerne viel. Ich habe hier schon viel Freude und manchmal auch Trauer und Enttäuschung (ja, auch das gehört zum Beruf dazu) erlebt. Wir Hebammen und Entbindungspfleger tragen eine große Verantwortung gegenüber den Frauen, die wir betreuen. Es ist ein wunderschöner, erfüllender und auch herausfordernder Beruf und ich bin sehr froh, ihn erlernen zu dürfen. Denn wir als Hebammen und Entbindungspfleger haben das Vorrecht, das Wunder des Lebens immer wieder hautnah miterleben zu dürfen und daran teilzuhaben. Dafür bin ich sehr dankbar.“
Text: Carine Dietz, Studentin der Hebammenkunde an der hsg
Lektorat: Dr. Anna Knaup, Online-Redakteurin des hsg-magazins
Aufmacher: hsg