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Das „Super-Hospital“ in Aarhus

24. Oktober 2018

Prof. Dr. Wolfgang Deiters ist Professor für Gesundheitstechnologien an der Hochschule für Gesundheit (hsg Bochum) und zeigt in diesem Beitrag auf, was es mit dem „Super Hospital“ im dänischen Aarhus auf sich hat. Außerdem bezieht er Position dazu, ob sich das Modell vielleicht auch als Vorbild für Deutschland eignen könnte. Einen tieferen Einblick in die Planungen und Umsetzungen der Krankenhäuser in Dänemark hat er, da er seit fünf Jahren in einem der Neubauprojekte in Aarhus als Kooperationspartner involviert ist.

Digitalisierung wird in vielfältiger Hinsicht das Potential zugesprochen, eine kosteneffektivere und qualitativ hochwertige gesundheitliche Versorgung zu ermöglichen, ebenso wie auch eine stärkere Patient*innenzentrierung und ein besseres Empowerment der Betroffenen zu erreichen. Gleichzeitig ziehen sich in Deutschland Digitalisierungsprojekte wie etwa die Telematik-Infrastruktur, die unter anderem eine Patientenakte für einen durchgängigen, intersektoralen Datenaustausch mit sich bringen soll, seit nunmehr 15 Jahren in die Länge. In dieser Hinsicht haben andere europäische Länder längst konsequenter auf das Thema Digitalisierung gesetzt. Wer mit Blick auf das Gesundheitswesen nach Norden schaut, hat Grund zu staunen: Elektronische Patientenakten – bei uns noch stark in der Diskussion – sind in Dänemark seit zehn Jahren etabliert. Technische Assistenzsysteme im Sinne der Telemedizin finden den Weg in die Regelversorgung. Im Rahmen eines großen Reorganisationsprozesses findet gerade in großem Stile der Umbau einer Krankenversorgung in der Fläche statt.

Der dänische Staat strukturiert derzeit die Krankenhauslandschaft in großem Stile um. Einige wenige „Super-Hospitäler“ werden die Spezialversorgung für medizinische Behandlungen übernehmen, viele andere Krankenhäuser werden entweder geschlossen ober bleiben Häuser der Grundversorgung beziehungsweise dienen als Portal-Kliniken für die im Bau befindlichen Super-Hospitäler.

Ein Beispiel hierzu ist Aarhus, die zweitgrößte Stadt Dänemarks, ein wichtiges Zentrum im Norden des Landes. Das dortige Universitätsklinikum war schon immer eine zentrale Anlaufstelle für die Patient*innen des Umlands, es bekommt jedoch jetzt eine völlig neue Dimension: Der bisherige Gebäudekomplex mit einer Größe von 160.000 Quadratmetern wurde mehr als verdoppelt. Das neugebaute Krankenhaus wird jährlich 100.000 Patient*innen stationär aufnehmen können. Darüber hinaus werden die etwa 9.000 Beschäftigten rund eine Million Tagespatient*innen betreuen. Nach einer mehrjährigen Bauzeit wird das Haus seit Jahresbeginn bezogen, vier Kliniken aus dem Umland werden geschlossen und sukzessive in das neue Haus integriert.

Eine derartig große Einrichtung effizient zu bewirtschaften, ist eine enorme Herausforderung. In Aarhus stehen für die Planer vor allem Lösungen für eine patient*innen-orientierte Versorgung, für mehr Transparenz im Krankenhausbetrieb, für eine effiziente Abwicklung von medizinischen und betrieblichen Prozessen und für eine effiziente Ressourcennutzung im Vordergrund. Diesen Aufgaben können sie nur mit einem massiven Technikeinsatz im Sinne eines Hospital Engineerings begegnen. Dementsprechend entstehen zahlreiche neue technische Dienste: Liegt beispielsweise ein medizinischer Notfall vor, kann ein Dienst die nächste verfügbare ärztliche Fachkraft informieren und anweisen, die Behandlung zu übernehmen.

Dem Thema Ressourcennutzung wird durch den Aufbau einer Infrastruktur Rechnung getragen, die auf einer Ortung (Tracking & Tracing) aller Personen, Objekte und Geräte beruht. Innerhalb dieser Infrastruktur gibt es Dienste, die es beispielsweise erlauben, medizinische Geräte (zum Beispiel ein mobiles Ultraschall-Gerät) zu lokalisieren und entweder zeitnah an den gewünschten Einsatzort zu bringen oder die Behandlung eines Patienten direkt in dem Raum, in dem sich das Gerät befindet, zu planen. Auch die Verteilung, Wartung und Reinigung der Geräte kann hierüber organisiert werden: So wird ein Bettenmanagement aufgebaut, das freie Betten lokalisiert, ihre Reinigung und Desinfektion steuert und Wartungsprozesse organisiert.

Die über das Tracking und Tracing aller Objekte gewonnenen Informationen werden konsequent zur Steuerung und Optimierung vieler Prozesse genutzt. So erfolgt eine komplette Patientensteuerung auf einer Station und über verschiedene Stationen im Haus hinweg. Digitale Anwendungen machen aber an den Gebäudegrenzen nicht halt, sondern schließen die Kommunikation mit ein-/zuweisenden Ärzt*innen oder aber auch die Kommunikation mit dem Rettungsdienst ein. So sind zum Beispiel bei Eintreffen einer*s Patient*in alle bereits im Rettungswagen aufgenommenen diagnostischen Parameter (Vitaldaten, EKG, etc.) bereits in der Klinik und die benötigten Spezialisten stehen informiert in der Notaufnahme bereit.

Darüber hinaus steuern digitale Anwendungen Materialflüsse, organisieren eine korrekte Sterilgutversorgung oder auch das Bettenmanagement. Die Anwendungen tragen so zu einer möglichen Reduktion von Ressourcenkapazitäten und zu einer möglichst hohen effektiven Nutzungszeit der Ressourcen bei. Auf Basis der Dienste zum Lokalisieren von Personen oder Objekten, zur Organisation und Abwicklung von Aufgaben, zur logistischen Steuerung der Versorgung oder auch zum Bettenmanagement werden weitere Funktionen zum Management und zur Automatisierung von Prozessen etabliert. So lassen sich zum Beispiel detaillierte Analysen über die tatsächlich benötigte Anzahl von Hilfsmitteln oder medizintechnischen Systemen durchführen, die dann in eine Kapazitätsplanung und Bevorratung eingehen können. Schwachstellen im Bereich von Puffer- oder Verweilzeiten lassen sich identifizieren und im Rahmen von Prozessreorganisationen berücksichtigen.

Prof. Dr. Wolfgang Deiterst ist an der Hochschule für Gesundheit (hsg Bochum) Professor für Gesundheitstechnologien. Foto: hsg/Volker Wiciok

Übertragbarkeit nach Deutschland

Die dänischen Erfahrungen und Ergebnisse lassen sich sicherlich nicht eins zu eins nach Deutschland übertragen. Als kleines Land fällt es den Dänen leichter, die dargestellten Strukturen mit kurzen Entscheidungswegen aufzubauen. Der Neubau des Hauses in Aarhus als Bestandteil eines staatsweiten strategischen Programms erlaubt ein Denken im Großen, denn viele Rahmenbedingungen fallen bei einem kompletten Neubau im Vergleich zu einem Bau im Bestand weg. Insofern bietet sich dort eine einmalige Chance für disruptive Innovationen, also komplette Umstrukturiereungen. Darüber hinaus zeigen sich zudem kulturelle Unterschiede: Gleichwohl es in beiden Nachbarländern hohe Datenschutzanforderungen gibt, werden in Dänemark einige Aspekte wie etwa die Ortung von Personen weniger kritisch gesehen. Dafür existieren dort andere Anforderungen: In Aarhus gibt es beispielsweise keine zentrale Zuordnung von Aufgaben, sondern eine stärker beteiligungsorientierte Mitverwaltung durch die dort arbeitenden Personen, die über Aufgabenpools realisiert wird.

Behält man den Fokus einer Nutzer*innenperpektive bei der Gestaltung digital unterstützter neuer Prozesse als zentrale Orientierung, ist der Weg zu einer stärkeren Digitalisierung zur Organisation und Steuerung von Krankenhäusern auch für deutsche Krankenhäuser der richtige. Um sich auf diesen Pfad zu begeben, ist es interessant, best practices aus anderen Ländern zu beobachten und die Aspekte zu übernehmen, die sich auf deutsche Verhältnisse übertragen lassen.

Ein systematischer Erfahrungsaustausch mit unseren nördlichen Nachbarn kann jetzt und in Zukunft dazu dienen, sinnvolle Aspekte für innovative Krankenhaustechniken noch weiter zu identifizieren und auch dabei helfen, den ein oder anderen Fehler ganz im Sinne von ‚Lessons Learned‘ zu vermeiden.  Die Dänen zeigen uns dabei heute schon, in welchem Maße Veränderungs- und Verbesserungsprozesse auch auf der Basis der gewonnen Daten möglich sind und untermauern damit die Bedeutung von „Gesundheitsdaten und Digitalisierung“.


Aufmacher: hsg/Wolfgang Deiters. Zu sehen ist eine Luftaufnahme des Krankenhauses in Aarhus.

Text: Prof. Dr. Wolfgang Deiters

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