„Ich möchte Menschen unterstützen, in ihren Alltag zurückzufinden.“
Pia Müller hat an der Hochschule für Gesundheit (HS Gesundheit) in Bochum den Bachelorstudiengang Ergotherapie studiert. Heute ist sie Leiterin der Ergotherapie in einem Leverkusener Therapiezentrum und baut den Therapiebereich dort gerade neu auf. In der Interview-Reihe „Sprungbrett HS Gesundheit“ blickt Pia Müller auf ihr Studium zurück und berichtet aus ihrem Berufsleben.
Warum genau der Studiengang Ergotherapie …
Mir war nach dem Abitur schnell klar, dass ich studieren möchte, weil mir der Gedanke gefiel, ein Studium und den Studienalltag selbstbestimmt zu gestalten. Natürlich gibt es feste Vorlesungen und Lerninhalte. Es gibt aber auch Wahlmodule, die ich nach meinen eigenen Interessen belegen kann. Außerdem bin ich im Studium sehr frei in der Struktur meines Lernalltags. Anfangs habe ich an ein Lehramtsstudium gedacht, bis ich auf einen Artikel gestoßen bin, in dem erklärt wurde, was Ergotherapie ist und was sie bewirken kann. Seither möchte ich als Ergotherapeutin arbeiten. Ich möchte Menschen unterstützen, in ihren Alltag zurückzufinden. Die Ergotherapie klang in dem Artikel damals nach einem sehr schönen Berufsfeld und genau das hat sich mit dem Studium und den ersten Berufserfahrungen auch mehr und mehr für mich bewahrheitet. Besonders der ganzheitliche Blick, mit dem die Ergotherapie den Menschen betrachtet, finde ich spannend. Es geht nicht allein um den menschlichen Körper oder die menschliche Psyche, sondern immer um das Zusammenspiel von beidem und noch viel mehr Aspekten, zu denen zum Beispiel auch das Lebensumfeld der Klient*innen gehört. Und so bin ich dann weg von meinem ursprünglichen Plan, eines Tages ins Bildungswesen einzusteigen und stattdessen hin zu meinem ab da neuen Ziel, im Gesundheitswesen zu arbeiten.
Was nach dem Studium geschah …
Nach meinem Staatsexamen habe ich in einer Praxis für Ergotherapie, in der ich zuvor bereits ein Praktikum absolvieren durfte, angefangen zu arbeiten. Es ist eine kleine Praxis mit fünf Ergotherapeut*innen und bunt gemischtem Klientel. Von Kindern mit einer Entwicklungsverzögerung bis hin zu Erwachsenen mit einer neurologischen oder demenziellen Erkrankung oder zum Beispiel einem komplexen, regionalen Schmerzsyndrom. Ich habe gerne in der Praxis gearbeitet, weil ich dort für mich die Möglichkeit hatte herauszufinden, in welchen Bereichen der Ergotherapie ich mich am meisten sehe. Parallel zu der Arbeit in der Praxis habe ich das Masterstudium Management für Pflege- und Gesundheitsberufe an der HS Gesundheit begonnen. Hier bin ich aktuell im zweiten Semester. Beide Studiengänge zusammen haben mir aber bereits eine neue berufliche Tür geöffnet: Seit ein paar Tagen übernehme ich die Leitung des neuen Bereichs der Ergotherapie in einem Therapiezentrum in Leverkusen. In der neuen beruflichen Position kann ich das ergotherapeutische, evidenzbasierte Wissen aus meinem Bachelorstudium und die Management-Skills aus meinem Masterstudium direkt miteinander verknüpfen.
Mein heutiger Berufsalltag …
In der Praxis für Ergotherapie, in der ich vor kurzem noch gearbeitet habe, startete mein Tag in der Regel mit der Planung der anstehenden Therapien und der Zusammenstellung des Therapiematerials. Dann ging es auf die wöchentlichen Hausbesuche, zum Beispiel zu Klient*innen, die einen Schlaganfall erlitten haben, unter Parkinson oder Demenz leiden. Mit den Klient*innen habe ich gemeinsam besprochen, wie es ihnen in der vergangenen Woche erging, ob sich in ihrem Alltag etwas verändert hat oder Termine mit Ärzt*innen anstanden. Danach arbeiteten wir gemeinsam an den Zielen der Klient*innen weiter. Wir schauten uns Abläufe des Alltags an, die ihnen besonders schwerfallen und suchten Wege, wie die Klient*innen trotz ihrer Erkrankung einen Teil der Selbstständigkeit im Alltag zurückgewinnen können. Nachmittags kamen die kleinen Klient*innen in die Praxis. Kinder, die zum Beispiel Schwierigkeiten beim Schreiben oder mit der Konzentration haben. Am Ende eines jeden Tages stand dann noch die restliche Dokumentation der Therapieverläufe an. In meiner neuen Position als Leiterin des Ergotherapie-Bereichs in dem Therapiezentrum in Leverkusen darf ich den ergotherapeutischen Bereich, den es dort bislang noch nicht gab, aufbauen. Dazu gehört zum Beispiel die Gestaltung der ergotherapeutischen Angebote. Was mich besonders freut: Unter dem Dach des Therapiezentrums arbeiten dann künftig Logopäd*innen, Physiotherapeut*innen und Ergotherapeut*innen auf kurzem Wege interdisziplinär zusammen. Wie wichtig genau das für den Heilungsprozess sein kann, habe ich in meinem Studium bereits früh gelernt.
Das habe ich aus meinem Studium der Ergotherapie mitgenommen …
Ich habe viel ergotherapeutisches Wissen erlangt, das erwiesen wirksam ist und spannende Einblicke in andere Länder, zum Beispiel in die USA oder Kanada gewinnen dürfen. Aber ich habe noch viel mehr mitgenommen: Etwa die Grundhaltung, dass jeder Mensch anders lebt und Dinge erlebt. Jeder Mensch hat eine andere Geschichte, die seine Perspektive beeinflusst. Die Ziele und Vorgehensweisen in einer Therapie sind daher so individuell wie die Menschen auch. Als Ergotherapeutin kann ich den Menschen begleiten, ihm Perspektiven aufzeigen, die er selbst vielleicht noch nicht sieht, aber am Ende ist es immer sein Leben und seine Entscheidung sich auf die Therapie einzulassen und sie aktiv mitzugestalten. Als Ergotherapeut*in – auch das habe ich mitgenommen – sollte man aber immer offen bleiben gegenüber allen therapeutischen Lösungswegen, die einem Menschen helfen können.
Erinnerungen an meine Studienzeit …
Wenn ich mich an mein Ergotherapie-Studium zurückerinnere, denke ich an wertvolle Menschen, Gleichgesinnte und tiefe Freundschaften mit Kommiliton*innen. Ich denke daran, dass der Mensch ein soziales Wesen ist und ein Studium bedeutet, miteinander in einem Themengebiet zu wachsen, zugleich aber durch die Interaktion mit anderen auch viel über die eigene Person zu lernen. Ich denke auch an den Rat, Klient*innen in der Ergotherapie so anzunehmen und so zu sehen, wie sie sind. Das hat auch etwas mit jedem selbst zu tun. Das bedeutet auch, nicht ständig bei sich selbst auf Fehlersuche zu gehen, sondern immer wieder auch zu reflektieren, sich seiner Kompetenzen bewusst zu werden, sich aber auch den Dingen bewusst zu werden, die vielleicht noch nicht so gut funktionieren und dabei immer wertschätzend mit sich und anderen umzugehen.
Mein Tipp für Studierende …
Ich erinnere mich noch genau, dass ich zu Anfang meines Ergotherapie-Studiums Bammel vor den Prüfungsformaten hatte, vor allem vor den mündlichen und praktischen Prüfungen. Der Studienbereich Ergotherapie schafft es aber sehr gut, Studierende zu unterstützen, diese Ängste abzubauen. Es gibt keinen Grund, mit einem schlechten Gefühl in eine Prüfung zu gehen, weil Studierende dort durch den Studienbereich so viel Wertschätzung entgegenbekommen, dass sich die Angst verliert. Das hat mir persönlich sehr gut getan und meine Einstellung zu Prüfungen total verändert. Zusätzlich würde ich Studierenden gerne mitgeben, dass sie auch keine Angst davor haben sollten, im Beruf und in der Therapie etwas auszuprobieren, sondern dass sie auf das im Studium Erlernte, die dort entwickelten Stärken und die eigene Intuition vertrauen können.