
Nah am Menschen
Das Berufsgenossenschaftliche Universitätsklinikum Bergmannsheil ist ein Kooperationspartner der ersten Stunde der Hochschule für Gesundheit (hsg Bochum). Anfang November 2010 wurde die Kooperationsvereinbarung unterschrieben. Im Bergmannsheil durchlaufen nicht nur Studierende der Pflege große Teile ihrer Praxis, auch Absolvent*innen entscheiden sich, dort zu bleiben und umgekehrt finden Mitarbeiter*innen der Klinik den Weg in die Hochschule.
Christina Malow zieht die Tür hinter sich zu, packt den Kittel zur Seite und schaut aus dem Fenster. Der Tag erwacht – und die Nacht liegt hinter ihr. Ihr erster Nachtdienst in der Notaufnahme des Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums Bergmannsheil. Ausgerechnet die Nacht auf den 1. Mai. „Meine Sorge war, dass es viele Betrunkene gibt und viel passiert. Aber es war relativ ruhig“, sagt sie. Eine Erfahrung, die die Pflege-Studentin der hsg Bochum in den vergangenen drei Jahren häufig gemacht hat: Zuerst der Respekt vor dem Neuen und dann die Erleichterung und das Gefühl, mit jeder Herausforderung zu wachsen.
Früher hatte sie auf Lehramt studiert. Dann die Entscheidung, umzusatteln und ein Pflege-Studium zu beginnen. „Bereut hab ich das nie. Seit ich im Bergmannsheil auf der Herz-Thorax-Chirurgie das Vorpraktikum gemacht habe, weiß ich, dass ich das Richtige tue“, sagt Malow.
"Bereut hab ich das nie", sagt Christina Malow.
Es folgten Stationen in der Neurologie, der plastischen Chirurgie, der Unfallchirurgie, der Kinderstation und in der Notaufnahme. „Ich fühle mich gut aufgehoben, auch durch Regine Scheidereit, die immer schaut, dass wir uns wohlfühlen und alles gut läuft“, erklärt die Pflege-Studentin.
Am Anfang gab es Vorbehalte
Regine Scheidereit ist die zentrale Praxisanleiterin für die Pflege-Schüler*innen am Bergmannsheil – und damit auch zuständig für die grundständig Studierenden der hsg Bochum, die ihre praktische Ausbildung im Bergmannsheil machen. Seit dem Start der Kooperation im Jahr 2010 waren das insgesamt 24 Student*innen. Pro Jahrgang nimmt das Bergmannsheil zusätzlich zu den rund 75 eigenen Pflegeschüler*innen drei bis vier Studierende der Hochschule für Gesundheit auf. Gemeinsam mit den Pflegeschüler*innen bilden sie ein Team und lernen zuerst, wie ein Krankenhaus funktioniert, erklärt Scheidereit: „Am Anfang müssen sie das System Krankenhaus verstehen und sich in das bestehende Team integrieren. Erst dann gerät der Patient in den Fokus: Der morgendliche Rundgang mit den Kollegen, Vitalwerte messen, Mobilisieren, Unterstützung bei der Körperpflege.“ Nach drei Jahren Ausbildung seien die Pflegeschüler und die hsg-Studierenden „maximal flexibel, können sich schnell auf neue Teams einstellen und all die Tätigkeiten und Fertigkeiten, die sie innerhalb der Ausbildung lernen, nicht nur ausführen, sondern auch variieren, begründen und Entscheidungen kritisch hinterfragen“, sagt Scheidereit.

Gemeinsam mit Peter Fels, als Pflegedirektor verantwortlich für die Organisation des Pflegedienstes, und seiner Assistentin Katrin Nitsch (37) sitzt Regine Scheidereit im Büro der Pflegedirektion und erinnert sich an die Anfänge der Kooperation, die zugleich die Anfänge der hsg Bochum waren. „Da war eine Scheu. Bei unseren Auszubildenden, aber auch bei uns Praxisanleitern. Viele fragten: Können die mehr als wir? Kann man denen noch etwas beibringen?“, sagt Peter Fels und fügt hinzu: „Wir mussten viel Aufbauarbeit leisten. Deutschlandweit ist die Akademisierung der Pflege im Vergleich mit anderen EU-Ländern sehr gering ausgeprägt. Das Bewusstsein dafür fehlte. Auch in unserem Haus.“
Alle in einem Boot
Der 59-Jährige selber habe der Akademisierung immer offen gegenüber gestanden: „Durch meine berufspolitische Arbeit, durch bundesweite Kontakte zu Kolleg*innen und aufgrund der berufspolitischen Entwicklung war es für mich immer klar, dass sich der Pflegeberuf weiterentwickeln muss – weg von einem reinen Hilfsberuf und hin zu einer eigenständigen Profession. Bei unserer Geschäftsführung bin ich offene Türen eingerannt. Beim ärztlichen Dienst waren die Reaktionen gemischt und gingen von ‚Wozu muss ich fürs Waschen studieren?’, bis hin zu Ärzt*innen, die bereits Ideen entwickelten, was sich aus akademisch gebildeten Pflegekräften gemeinsam mit der Medizin und den grundständig ausgebildeten Pflegekräften in einem professionellen Team alles entwickeln lässt.“
Sorgen machte sich aber auch Fels’ eigenes Team: „Ich wurde gefragt, ob wir bald eine Zwei-Klassen-Pflege haben. Als die ersten fünf Studierenden zu uns kamen, habe ich darauf geachtet, dass sie auf Stationen kommen, die solche Entwicklungen positiv sehen. Der erste Wurf sollte gut sitzen.“ Genau das gelang.

Inzwischen sind nicht nur grundständig Studierende am Bergmannsheil. „Wir haben drei Mitarbeiter in einem berufsbegleitenden Bachelor-Studiengang der hsg Bochum“, sagt Katrin Nitsch, Assistentin des Pflegedirektors, die für die Betreuung der akademisierten Pflegekräfte in der Praxis zuständig ist. „Von den 23 Studierenden, die bei uns ihre Ausbildung bis zum Schluss absolviert haben, sind noch sechs bei uns: Sie arbeiten als examinierte Pflegekräfte mit Bachelor-Abschluss, denn sie wollen nach ihrem Bachelor (BA) erst einmal Praxiserfahrung sammeln.“
Ein Schlüsselerlebnis
Eine davon ist Vanessa Kolbeck, BA-Absolventin der hsg Bochum und inzwischen Studentin im Master-Studiengang in Frankfurt, die im Team aus Ärzt*innen und Pflegekräften einen Palliativkonsiliardienst im Bergmannsheil aufbaut, also einen Dienst, der aus einem multiprofessionell zusammengesetzten Mitarbeiter*innenteam besteht, das die Situation schwerkranker und sterbender Menschen verbessern soll. Still ist es auf ihrer Station. Lichtdurchflutete Einzelzimmer, auf denen immer auch ein Bett für Angehörige steht. Kleine Terrassen, davor eine Blumenwiese. Kolbeck steht in einem Besucherzimmer, strahlt Ruhe aus, lächelt. „Palliativmedizin braucht eine andere Art von Pflege. Da achtet man auf Ruhe, nimmt sich viel Zeit für jeden Einzelnen. Ich denke, dass gerade dieser Bereich sehr wertvoll ist, gerade wenn man merkt, wie die Angehörigen und die Patient*innen mit eingebunden werden. Gemeinsam tun wir alles, um die Lebensqualität zu steigern.“

Es war im dritten Jahr ihres Studiums, da arbeitete sie zum ersten Mal im Bereich ‚Palliative Care‘, der für die Behandlung, Pflege und Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen und die Begleitung ihrer Angehörigen steht. „Damals lernte ich eine Patientin kenne, die ich von Anfang an begleitet habe. Wir hatten ein inniges Verhältnis, und auch das war eine wichtige Erfahrung, zu gucken, wo die Abgrenzung zur Professionalität ist, diese Brücke zu finden und sie von ihrem ersten Tag auf der Palliativstation bis zu dem Tag, an dem sie verstorben ist, zu begleiten. Für mich war das ein Schlüsselerlebnis, denn auch wenn es traurig war, nahm es einen schönen Verlauf, sie konnte in Frieden gehen.“
Heute arbeitet Vanessa Kolbeck an einem Konzept, sich auf die Folgen des demografischen Wandels einzustellen. Ziel ist es, evidenzbasierte Pflege in die Praxis zu bringen und neue Strukturen zu schaffen, indem man Palliativpatient*innen auf den einzelnen Stationen identifiziert, früh erreicht und bis zuletzt das Wohl der Patient*innen in den Mittelpunkt stellt.
Studium neben dem Beruf
Das Thema demografischer Wandel begegnet auch Michael Waleczko-Gehrke jeden Tag. Er ist stellvertretender Stationsleiter der herz-thorax-chirurgischen Intensivstation, einer auf Herz-OPs wie Bypässe oder Herzklappen fokussierten Intensivstation, auf der knapp 40 Mitarbeiter*innen arbeiten. Es gibt zehn Betten. „Im Idealfall wird heute operiert und schon am nächsten Tag über die Intermediate Care Station in ein normales Krankenzimmer verlegt“, erklärt er. Doch die Multimorbidität, also die Erkrankung an gleich mehreren Krankheiten, nehme mit höherem Alter zu. „Und die Liegezeiten werden länger“, fügt er hinzu.

Die Arbeit in der Pflege wird komplexer – Michael Waleczko-Gehrke hat darauf reagiert. Nach Abitur, Pflegerausbildung, Praxisanleitung und Fachweiterbildungen, begann er in Bielefeld nebenberuflich zu studieren, machte seinen Case-Manager und lernte auch den Master-Studiengang ‚Evidence-based Health Care‘ und das PuG-Projekt kennen, also das Projekt ‚Aufbau berufsbegleitender Studienangebote in den Pflege- und Gesundheitswissenschaften‘, in dessen Rahmen auch an der hsg Bochum Weiterbildungsmodule angeboten werden. „Das Projekt war so spannend, da habe ich mich entschlossen, noch weiter nebenberuflich zu studieren. Man hat pro Semester zwei Blockwochen. Einmal im Monat gibt es ein Treffen, dazu kommen Lernzeiten, viele davon online.“
Praktische Erfahrung sammeln
Michael Waleczko-Gehrke muss zurück auf die Station. Vanessa Kolbeck sitzt am Bett einer fast neunzigjährigen Patientin. Und Christina Malow läuft hinaus in die Sonne. Was sie machen will, wenn ihr Studium im kommenden Jahr abgeschlossen ist? „Erst einmal praktische Erfahrung sammeln“, sagt sie, „denn egal, was ich später mache, ob ich in die Lehre oder in die Forschung gehe, ich brauche Praxiserfahrung. Ich muss Schüler*innen nichts erzählen, wenn ich die Erfahrung selber nicht habe. Und in der Forschung kann ich nicht viel verändern, wenn ich die Praxis nicht kenne.“
Text: Tanja Breukelchen, freie Journalistin. Der Text erschien am 15. März 2019 im hsg-magazin.
Aufmacher: Das Foto zeigt Christina Malow in einem der Skills-Labs an der Hochschule für gesundheit. Hier üben auch Pflege-Studierende genau das ein, was sie im Praxiseinsatz bei einem hsg-Kooperationspartner umzusetzen haben. Foto: hsg Bochum/Judith Merkelt-Jedamzik