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„Sich trauen, Verantwortung zu übernehmen“

2. Januar 2018

Theresia Krieger von der Universität Maastricht berichtete auf dem internationalen Tag der Hochschule für Gesundheit (hsg) im November 2017 über das interdisziplinäre Arbeiten in interkulturellen Teams in der humanitären Hilfe am Beispiel von ‚Ärzte ohne Grenzen‘. Im Gespräch mit dem hsg-magazin gibt die Gesundheitswissenschaftlerin und gelernte Krankenpflegerin Interessierten Ratschläge, die sich so eine Projektarbeit im Ausland vorstellen können.

In Ihrem Vortrag an der hsg haben Sie einige Ratschläge benannt, die Menschen berücksichtigen sollten,  die sich für die humanitärer Hilfe interessieren. Welches sind die wichtigsten Tipps?

Theresia Krieger: Der wichtigste Tipp ist, zu wissen, dass es ein Langzeitprojekt ist. Es ist keine fixe Idee, in die humanitäre Hilfe zu gehen. Das wäre verantwortungslos, sich selbst und den Menschen, denen man dort begegnet, gegenüber. Man muss sich langfristig darauf vorbereiten. Zunächst muss man bereits zwei oder drei Jahre in seinem Beruf gearbeitet haben. Interessierte sollten Englisch fließend sprechen und bereit sein, die jeweilige Sprache zu erlernen, team- und kommunikationsfähig sein und ein Gefühl für Kulturen entwickeln können. Ich sollte mir gut überlegen, wie ich Wissen weitergeben kann. Häufig sind Personen, die helfen können, vor Ort. Es fehlen aber Menschen, die das medizinische Wissen und das Wissen rund um die Pflege haben und vermitteln können. Wenn Sie die Kompetenz haben, Wissen zu vermitteln, dann sind Sie ein Gewinn für das Team vor Ort. Für die interkulturelle Arbeit ist es auch wichtig, selber reflektiert zu sein und zu schauen, welche Mechanismen der Kommunikation es gibt. Ich sollte mir bestimmte Mechanismen der Konfliktlösung und Kommunikation vorher antrainieren.

Mit welchen Argumenten würden Sie Menschen empfehlen, in der humanitären Hilfe tätig zu werden? Oder muss der Antrieb an sich, helfen zu wollen, in dem Menschen selbst zu finden sein?

Krieger: Es hilft jedenfalls nicht, wenn man denkt, dass man dabei reich werden kann. Bei mir ist es so, dass ich sehen möchte, ob das, was ich hier gelernt habe, in der humanitären Hilfe die gleiche Wirksamkeit erreichen kann. Es ist für einen selber schön zu sehen, was man zu leisten fähig ist, wenn man die Chance hat. Die meisten Ausbildungsberufe sind in Deutschland so organisiert, dass man nicht selbstständig arbeiten kann, was ein Segen und ein Fluch ist. Und dort, im Ausland in der humanitären Hilfe, muss man eigenverantwortlich arbeiten und so sieht man dann auch, an welchen Stellen noch Schwächen auftauchen. Man durchläuft persönlich eine ganz andere Entwicklung, wenn man im Ausland tätig war.

Sie haben in Ihrem Vortrag vor unseren Studierenden von den flachen Hierarchien in der humanitären Hilfe erzählt und davon, dass man als Rückkehrer dann erst einmal Zeit braucht, um sich wieder an das Arbeiten und den Alltag in Deutschland zu gewöhnen. Was ist genau anders?

Krieger: Wir arbeiten vor Ort in interdisziplinären Teams. Es gibt eine*einen Projektleiter*in und ansonsten ist es eine flache Hierarchie. Nach der Rückkehr nach Deutschland darf man nicht daran verzweifeln, dass man nicht die Entscheidungsgewalt hat und muss auch in bestimmten Zwängen leben.

Haben Sie Ratschläge für diesen Anpassungsprozess, der so schwierig sein kann, dass Sie sogar von einem ‚Schock‘ sprachen?

Krieger: Man sollte wissen, dass genau dies passieren kann. Wenn ich weiß, dass ich mich im Ausland die ganze Zeit darauf freue, nach Hause zu kommen, aber dass es nach der Rückkehr einen Blues geben kann, also ein Stimmungstief oder sogar einen Schock wegen des Überflusses in Deutschland oder weil die Abläufe bei der Arbeit eben doch nicht so ideal sind, wie ich es mir vorgestellt hatte, dann kann ich damit viel besser umgehen und mich schon einmal darauf einstellen. Diese Selbstreflektion ist wichtig. Aus diesem Grund ist es auch aus meiner Sicht nicht so ratsam, diese Auslandsaufenthalte im Alter von 20 Jahren umzusetzen, sondern zunächst Berufserfahrung zu sammeln und mich gut auf ein solches Projekt in der humanitären Hilfe vorzubereiten. Man sollte eine gestandene Persönlichkeit sein, die in der Lage ist, für sich und für andere Verantwortung zu übernehmen.

 

Theresia Krieger promoviert zum Thema ‚Komplexe Interventionen für pflegende Angehörige‘ an der Universität Maastricht. Foto: hsg

Die interprofessionellen Teams in den Projekten, die natürlich international sind, bestehen aus Ärzt*innen, Pflegekräften, Hebammen, Physiotherapeut*innen, Logistiker*innen und einer Person für die Finanzen. Wie funktioniert so ein interprofessionelles Team?

Krieger:  Eine typische Situation ist ein Projekt zur Basis-Gesundheitsversorgung in einem Flüchtlingslager. Dann braucht man natürlich die Logistiker*innen und Finanzleute, die dafür sorgen, dass das Team Wasser hat und funktionsfähige Computer. Das Team und natürlich auch die Leute, die vor Ort sind, benötigen Essen. Die Hebammen und Entbindungspfleger schulen zusammen mit dem örtlichen Personal traditionelle Hebammen bzw. Entbindungspfleger in den umliegenden Gemeinden. Die Kinderärztin oder der Kinderarzt unterstützt die Kinderabteilung, da dort kein*e Arzt*Ärztin mehr vorhanden ist und schult die nationalen Krankenpfleger. Die*Der internationale Krankenpfleger*in bietet in sieben umliegenden Dörfern in einer mobilen Klinik Basisgesundheitsversorgung an und parallel dazu Basisgesundheitshelfer aus. Der*Die medizinische Projektleiter*in koordiniert alle Aktivitäten mit den anderen Akteuren und der eigenen Organisation.

Welche Briefings gibt es?

Krieger: Sie haben regelmäßig, einmal am Morgen, eine Sitzung für die Themen Logistik und Sicherheit, an der von jeder Sektion ein Mitglied dabei ist. Hier werden die drängenden Fragen besprochen: Wie sieht die Sicherheitslage aus? Wer darf heute das Lager verlassen? Was ist heute geplant? Was wird schwierig? Wie können wir kommunizieren? So bin ich beispielsweise in Angola zwischen verschiedenen Gesundheitsposten unterwegs gewesen. 30 Kilometer in diesem mit Minen bestückten Gelände  zurückzulegen, musste gut vorbereitet werden.  Absprachen wurden getroffen: Wann melde ich mich zurück? Wann merkt das Team, dass etwas passiert ist? Wie viele Personen werde ich ins Krankenhaus bringen, da ihr Zustand besorgniserregend ist?

Das betrifft die Sitzung im ganzen Team. Weiterhin gibt es noch medizinische Teamsitzungen?

Krieger: Ja, in diesen Sitzungen wird besprochen, wann die Ärzt*innen im Krankenhaus beziehungsweise wann sie nach Außeneinsätzen wieder zurück sind.  Gibt es Probleme im Schichtplan? Fällt auf, ob in bestimmten Schichten besonders viele Menschen sterben? Was wollen wir in diesem Monat erreichen? Wann geht die*der neue Physiotherapeut*in? Welche Informationen über die Patient*innen benötigt die*der Neue? Welche Fälle werden übergeben? Wie viele Tage benötige ich für die Übergabe? Wie häufig diese medizinischen Meetings sind, hängt von der Lage ab. Bei einem Cholera-Ausbruch kann es mehrmals am Tag zu Meetings kommen, weil sich die Situation so schnell verändert.

Wie können sich unsere Studierenden darauf vorbereiten, um in einem interkulturellen Kontext in einem interdisziplinären Team gut zu arbeiten? Sie lernen ja bereits hier an der Hochschule, interdisziplinär, also mit anderen Berufsgruppen zusammen, zu lernen und zu arbeiten.

Krieger: Man sollte lernen, seine Profession so auszufüllen, dass man sein Licht nicht unter den Scheffel stellt. Wir haben in Deutschland ja ein sehr hierarchisches System. Das ist in den Niederlanden schon ganz anders. Es ist ganz wichtig, dass zum Beispiel die Krankenpfleger*innen ihren Bereich ausfüllen und mit den Teammitgliedern auf Augenhöhe kommunizieren können. Sie dürfen nicht denken, dass die Ärztin oder der Arzt  ihnen sagt, wie sie als Krankenpfleger*innen ihre Arbeit machen sollen. Das wird nicht passieren. Man muss sich trauen, Verantwortung zu übernehmen. Natürlich gibt es Verlinkungen und ich  kläre zum Beispiel mit dem Kinderarzt, wie ich ihn unterstützen kann. Aber jeder kümmert sich um seinen Bereich und vertritt ihn selbstbewusst. Deshalb ist es so wichtig, vor dem Auslandseinsatz bereits Berufserfahrung gesammelt zu haben.


Theresia Krieger ist gelernte Krankenpflegerin und hat sich früh im intensivmedizinischen Bereich weitergebildet. Hauptsächlich mit der Organisation ‚Ärzte ohne Grenzen‘ war sie im Ausland tätig. Sie arbeitete in Ländern wie Indien, Angola, Mosambik, Brasilien und war im Sudan. Die heute 42-Jährige entwickelte ihren Wunsch, in der humanitären Hilfe tätig zu sein, bereits als Schülerin und ging mit 25 Jahren zum ersten Mal ins Ausland. Parallel zur Zeit der Familiengründung begann sie „akademischen Background zu sammeln“ (Krieger).  Sie absolvierte ihren Bachelor im Fach Gesundheitswissenschaften in Neubrandenburg und ihren Master in internationaler Gesundheit im schottischen Edinburgh. Mehrere Jahre lang hat Theresia Krieger als Dozentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin in Forschungsprojekten gearbeitet. Aktuell promoviert sie zum Thema ‚Komplexe Interventionen für pflegende Angehörige‘ an der Universität Maastricht.


Das Interview führte Dr. Christiane Krüger, Pressesprecherin der hsg.

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