
Aus der Not eine Tugend machen
Annette Schüller, Praxiskoordinatorin im Studienbereich Ergotherapie an der Hochschule für Gesundheit (hsg Bochum), hat ein neues Lehrformat entwickelt, um den Einschränkungen in der Corona-Krise zu begegnen.
Eigentlich sollten die Ergotherapie-Studierenden des 4. Semesters in diesem Jahr – ganz wie sonst auch – im April 2020 ihre 11-wöchige praktische Studienphasen antreten. Doch es kam anders, denn viele der Praktikumsplätze konnten aufgrund der Kontaktbeschränkungen in der Corona-Krise nicht angetreten werden. Praxiskoordinatorin Annette Schüller stand vor der Frage, was sie den Studierenden alternativ anbieten könnte, solange sie darauf warteten, dass sie ihre Praktikumsplätze antreten konnten. Das Format musste dabei schnell umsetzbar sein und sich auch für die digitale Lehre eignen – keine leichte Aufgabe. Schüller entschied, ein bestehendes Lehrformat – die Arbeit mit den sogenannten Simulationspatient*innen – neu aufzusetzen und an die bestehende Lage anzupassen.
Schauspielerei für die Lehre
Simulationspatient*innen sind Schauspieler*innen oder Freiwillige, die im Rahmen einer Lehrveranstaltung die Rolle einer*s Erkrankten übernehmen, dessen Symptome und Krankengeschichte sie zuvor mitgeteilt bekommen. Normalerweise werden solche Patient*innen im Rahmen von Lehrveranstaltungen und Prüfungen für einen Tag in die Hochschule eingeladen und spielen dort vor einer Kleingruppe von Studierenden ihre Rolle. Häufig findet das Ganze in einem Spiegelraum statt, bei dem nur eine Person mit der*m Patient*in agiert, während der Rest der Gruppe hinter einer einseitig verspiegelten Wand das Geschehen verfolgt.
Wie lässt sich solch ein Format digital umsetzen? Annette Schüller informierte sich über die technischen Möglichkeiten und fand heraus, dass sich Videokonferenzen in kleine Räume einteilen lassen, sodass sie das digitale Format wie sonst auch für verschiedene Kleingruppen anbieten konnte. Außerdem lässt sich die Spiegelwand simulieren, indem alle Teilnehmer*innen außer einem ihre Kameras und Mikrofone ausstellen. Sie können das Geschehen weiterhin verfolgen, jedoch nicht selbst eingreifen. Unterstützt wurde sie bei der Konzeption von verschiedenen Kolleg*innen aus dem Studienbereich Ergotherapie: „Spezielle Fragen zur Behandlung bei psychosozialen Krankheitsbildern wie Depression oder Angststörungen konnten in Expertensprechstunden geklärt werden, die Aileen Späth, Lehrkraft für besondere Aufgaben und Expertin im Bereich Psychiatrie, anbot. Andere Kolleginnen waren bei den Gesprächssituationen dabei und haben Feedback gegeben“, so Schüller.

Annette Schüller übertrug das Format nicht nur in die digitale Welt, sie erweiterte es auch. Von nun an hatten die Simulationspatient*innen nicht nur einen Auftritt, sondern trafen sich regelmäßig – einmal die Woche – mit den Studierenden. So konnten sie die Fälle viel ausführlicher umsetzen. „Es gibt nun ein Kennenlernen, ein Assessment – also eine Art Statuserhebung und dann können gemeinsam Ziele für die Therapie besprochen werden“, erklärt Schüller.
Möglichkeiten und Grenzen der digitalen Therapie
Natürlich ließen sich die Therapien nur soweit planen, wie das online möglich ist, so Schüller. Jedoch ginge das in der Ergotherapie erstaunlich gut, erklärt sie: „In der Ergotherapie geht es darum, die Patient*innen dazu zu befähigen, etwas wieder selbst zu tun. Daher muss man ihnen nicht bei allem physisch unter die Arme greifen“, so die Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studienbereich Ergotherapie.
Das erweiterte Format findet Anklang bei den Studierenden. Studentin Franziska Wurster erzählt: „Es hat sehr gut funktioniert, mit den Klient*innen digital zu kommunizieren. Dadurch, dass man sich in den Kleingruppen so intensiv über die Fälle austauschen kann und die Klient*innen ihre Rollen über mehrere Sitzungen hinweg mit Leben füllen können, vergisst man auch hin und wieder, dass es in dem Moment ja „nur“ geschauspielert ist.“
Auch ihre Kommilitonin Nela Küper findet das Lehrangebot gelungen: „Ich war zunächst etwas skeptisch und hatte Respekt davor, ins kalte Wasser geschmissen zu werden. Denn bisher haben wir noch nie einen Klienten so lang und vor allem nicht allein betreut. Aber durch den Austausch und die Unterstützung in den Kleingruppen wird man immer kreativer und sicherer darin, was online alles möglich ist“, sagt sie.
Aktuell ist die Teilnahme an dem Online-Seminar für die Studierenden freiwillig, doch aufgrund der positiven Erfahrungen könnte sich Annette Schüller vorstellen, dass man es nach der Corona-Krise in den regulären Lehrplan etablieren könnte. Auch aus den Reihen der Simualtionspatient*innen hat sie positives Feedback bekommen. Die digitale Umsetzung ließe ihnen mehr Freiheit, weil sie nicht extra anreisen müssten, so die Schauspieler*innen.
„Durch den Austausch und die Unterstützung in den Kleingruppen wird man immer kreativer und sicherer“ (Nela Küper)
Auch Nela Küper könnte sich gut vorstellen, dass das Seminar in den Lehrplan aufgenommen wird. Dazu würde sie sich aber zusätzlichen Input zum Thema Teletherapie wünschen: „Ich denke, dass es sehr nützlich wäre, sich vorab im Studium noch mehr mit der Frage auseinanderzusetzen, was bei Online-Therapie zu beachten ist, aber auch welche Möglichkeiten sie bieten kann.“