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Auf dem Bild zu sehen sind eine schwangere Frau und eine Ärztin.
Foto: pixabay

Das Recht auf eine respektvolle Geburt

4. Dezember 2020

Prof.in Dr.in Ute Lange ist Professorin im Studienbereich Hebammenwissenschaft und Sprecherin des Forschungsschwerpunktes Midwifery & Reproductive Health im Institut für Angewandte Gesundheitsforschung (IAG) an der Hochschule für Gesundheit (hsg Bochum). Einmal im Jahr organisiert sie an der Hochschule den Projekttag ‚Menschenrechte in der Geburtshilfe – Human Rights in Childbirth (HRiC)‘. Zielgruppe sind Hebammenstudierende sowie Mitarbeiter*innen und Kooperationspartner*innen des Studienbereichs.  Im Interview erzählt Lange, warum ihr das Thema der Menschenrechte so sehr am Herzen liegt und was die Teilnehmer*innen am nächsten Projekttag – dem 14. Dezember 2020 – erwartet.

Wie hängt das Thema Menschenrechte mit der Betreuung in Schwangerschaft und Geburt zusammen?

Prof.in Dr.in Ute Lange: Das Thema ,Human Rights in Childbirth‘ wird seit einigen Jahren weltweit diskutiert. Im Mittelpunkt der breiten Debatte stehen das Recht der Frauen auf eine respektvolle Versorgung und das Vermeiden von Gewalt jeder Art während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Wir nehmen mit dem Format des Projekttages alle Aspekte einer menschenrechtsbasierten Geburtshilfe in den Fokus. So haben wir bisher die Themen ,Gewalt unter der Geburt`, aber auch die UN-Kinderrechte und die Perspektive der Väter aufgegriffen und planen einen Schwerpunkt zum Thema Schwangerschaft und Behinderung.

Warum ist das Thema für uns so wichtig? Unter der Geburt sind Frauen besonders verletzlich, Erfahrungen von Missachtung und Gewalt können langfristige Auswirkungen auf die Mutter, das Kind und die ganze Familie haben. Auch in Deutschland berichten Frauen von Diskriminierungserfahrungen, körperlichen Übergriffen sowie Untersuchungen ohne Einwilligung, um ein paar Beispiele zu nennen. Am 25.11., dem globalen Tag gegen Gewalt in der Geburtshilfe, legen Frauen Rosen als Zeichen einer als gewaltvoll erlebten Geburt vor die Kreißsäle. Das Thema ist in der öffentlichen Aufmerksamkeit angekommen und durchaus sehr politisch.

Also geht es bei dem Thema vor allem um die Rechte von Frauen?

Lange: Ja, aber auch um die des Kindes, der Partner und Partnerinnen und der ganzen Familie. Kinder haben das Recht, in einer respektvollen Atmosphäre geboren zu werden. Unnötige Störungen und Interventionen können die frühe Familienbildung negativ beeinflussen. Und natürlich haben Kinder auch das Recht auf eine umfassende medizinische Unterstützung, sofern sie sie benötigen.

Das Bild zeigt Prof.in Dr.in Ute Lange
Prof.in Dr.in Ute Lange setzt sich für das Thema Menschenrechte unter der Geburt ein. Foto: hsg Bochum

Warum ist es Ihnen wichtig, dieses Thema in der Hochschullehre besonders hervorzuheben?

Lange: Zum einen werden die Studierenden in ihren Praxiseinsätzen schon von Beginn an Zeuginnen von dem, was wir unter Gewalt in der Geburtshilfe verstehen. Das ist eine Erfahrung, die – glaube ich – für alle Hebammen kollektiv ist. Also beispielsweise, dass Untersuchungen ohne Einwilligung oder in grober Weise stattfinden. Die angehenden Hebammen sind teils Zeuginnen von Missachtung und Gewalt und das löst etwas in ihnen aus. Das merken wir zum Beispiel in den Reflexionsseminaren zu den Praxiseinsätzen. Da haben wir dann Studierende, die bestürzt sind oder weinen, weil sie nicht wissen, wie sie solche Erlebnisse einordnen sollen. Wir sehen es als unsere Aufgabe an zu sagen, dass sie nicht empfindlich sind, wenn sie unter solchen Erfahrungen leiden. Stattdessen reflektieren wir die Situation und auch die nicht immer einfachen Lösungen. Denn die Studentinnen oder Hebammen können ja nicht einfach den Raum verlassen, wenn Grenzüberschreitungen passieren. Und Handlungen in den intimsten Körperzonen der Frauen gehören ja ausdrücklich zum Hebammenberuf dazu. Wobei ich auch sagen muss, dass die meisten Kollegen und Kolleginnen in der Geburtshilfe alles tun, um den Frauen und Familien eine gute Geburtserfahrung zu ermöglichen. Es ist teils ein teuflischer Kreislauf, der auch was mit strukturellen Problemen wie der Unterbesetzung in den Kreißsälen und veralteten Hierarchievorstellungen zu tun hat. Es lohnt sich, jedes Mal wieder genau hinzuschauen, was da passiert.

Was könnte eine solche Lösungsstrategie sein?

Lange: Manchmal ist es zumindest auf der persönlichen Ebene ganz simpel: Zum Beispiel sollte ich eine Frau fragen und mit ihr sprechen, bevor ich sie untersuche. Ich muss eine Sprache wählen, die sie versteht und auch ihren kulturellen Kontext beachten. Meine Grundhaltung muss sein, dass sie ein uneingeschränktes Recht auf Würde und den höchstmöglichen Standard an körperlicher und geistiger Gesundheit hat. Natürlich kann man nicht jede negative Erfahrung verhindern, aber es geht eben viel um eine respektvolle Kommunikation auf Augenhöhe. Eine Hebamme sollte erklären, was genau in einer Situation passiert und auch ein Nachgespräch anbieten, wenn etwas nicht gut gelaufen ist. Es gilt, soweit irgend möglich zu verhindern, dass Frauen durch Geburten traumatisiert werden.

Sie sagen, dass Menschenrechte gerade an einer öffentlich-rechtlichen Hochschule eine zentrale Rolle spielen sollten, warum?

Lange: Das Thema der Menschenrechte hat an der hsg Bochum aus meiner Sicht eine besondere Bedeutung. Wir sind ja eine staatliche Hochschule und anders als viele Hochschulen mit Studiengängen im Bereich Soziales und Gesundheit haben wir keinen konfessionellen Hintergrund, an dem wir uns vorgegeben ausrichten. Die Frage ist dann, woran wir uns dann orientieren, wenn wir über Ethik sprechen. Und da kann ich für unseren Studienbereich sagen, dass die Menschenrechte zentral für unsere Diskussionen sind. Ein menschenrechtsbasierter Ansatz bedeutet unter anderem, dass Eltern jeglichen Geschlechts das Recht haben, Eltern zu werden, dass Frauen ein bedingungsloses Recht haben, über ihre reproduktive Gesundheit zu entscheiden und dass eine Behinderung oder Erkrankung das Recht auf eine Familienbildung nicht einschränkt. Nur um ein paar Beispiele zu nennen. Hier positionieren wir uns sehr klar.

Ihre Veranstaltung steht jedes Jahr unter einem speziellen Thema. Was ist für dieses Jahr geplant?

Lange: Dieses Mal legen wir den Schwerpunkt besonders auf die Situation mit Covid-19 und die Frage, wie sich das Pandemiegeschehen auf die geburtshilfliche Betreuung und Kinder- und Frauenrechte auswirkt. Carsten Krüger – als Professor für Pädiatrie an der hsg Bochum – und Sabine Ludwig als Vertretungsprofessorin für Gesundheitswissenschaften halten dieses Mal Vorträge zu diesen Themen. Außerdem werde ich eine Einführung zum Thema ‚Menschenrechte allgemein‘ halten, um das Thema im Kontext der Geburtshilfe zu einzuordnen.

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