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Ergotherapie mit Kindern erfahrungsbasiert lernen

26. Oktober 2018

Die drei Studentinnen Julia Kühn, Isabelle Rogmans und Annesophie Flock hatten die Aufgabe, am Ende ihres Lehr-Lernprojekts eine Tabelle vorzustellen, die aufzeigen soll, wie die Entwicklungsstände von Kindern aussehen. Doch bei der Präsentation ihrer Arbeit treten die drei Studentinnen nicht mit langweiligen Zahlenkolonnen vor die gespannte Gruppe. Nein, Kühn, Rogmans und Flock präsentieren ihre Tabelle anhand von anschaulichen Bildern.

Einen Tag lang im Juli 2018 präsentierten die Studierenden und Dozent*innen des zweiten Semesters des Studiengangs Ergotherapie der Hochschule für Gesundheit (hsg Bochum) ihre Arbeiten. Vorgestellt wurden die Ergebnisse eines innovativen Lehr-Lernprojekts, das im Sommersemester 2018 zum ersten Mal als Übung im Modul ‚Betätigungen in den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen‘ des Studiengangs Ergotherapie angeboten wurde.

Entwickelt wurde das Projekt von Prof. Dr. Dr. Christian Postert, der hsg-Professor im Studiengang Ergotherapie ist, sowie weiteren hsg-Dozent*innen. Das Projekt ist angelehnt an erfahrungsbasierte Lehr-Lernformen aus der Pädagogik und soll Studierenden ermöglichen, einen Zugang zu Themen betätigungsorientierter Ergotherapie mit Kindern zu bekommen. Postert sagt: „Die Studierenden sollen den Freiraum bekommen, selbstbestimmt in einem Gruppenprozess Erfahrungen in praxisorientierter Arbeit zu sammeln. Die Übungen bieten den Studierenden bereits im zweiten Semester die Möglichkeit, das theoretisch Erlernte zu erfahren, indem sie ins Handeln kommen. Über die praktische ergotherapeutische Arbeit mit Kindern lernen sie auch, welche Chancen und Herausforderungen die gemeinschaftliche und konstruktive Gestaltung eines Teamprozesses mit anderen Studierenden in der Arbeit mit Kindern mit sich bringt. Hier können sie wichtige soziale Kompetenzen erwerben und persönlich wachsen.“

Zum Auftakt der Übungen bildeten sich drei Gruppen, die von drei hsg-Dozentinnen geleitet wurden:

Diese drei Ergotherapie-Studentinnen stellten eine Entwicklungstabelle als anschauliche Fotoserie vor. Foto: hsg

Gruppe 1: Durchführung und Reflektion des Marburger Konzentrationstrainings

In der ersten Übungsgruppe ging es darum, verhaltenstherapeutische und systemische Elemente zu vereinen. Im Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) des Kooperationspartners Klinikum Dortmund gGmbH bekamen die Studierenden dafür unter Leitung und Supervision von Prof. Dr. Nina Gawehn, hsg-Professorin für Psychologie, die Möglichkeit, ein Aufmerksamkeitstraining für Kinder im Vorschul- und Grundschulalter probeweise durchzuführen, zu beobachten und zu bewerten. Innerhalb des Trainings der Aufmerksamkeit konnten die Kinder Strategien zur Steuerung ihres Verhaltens beim Bearbeiten von Aufgaben, wie zum Beispiel bei der Erledigung der Hausaufgaben oder dem Lernen im Unterricht einüben. Neben den Arbeitsphasen gab es für die Kleinen auch entspannende Phasen, die autogenes Training, Bewegungsspiele und Spiele zur Förderung der Wahrnehmung und des Gedächtnisses umfassten.

Insgesamt sechs Studierende leiteten über fünf Wochen lang zwei Kindergruppen. Dabei beobachteten vier Studierende die Gruppenprozesse und gaben als sogenanntes ‚Reflecting Team‘ konstruktive Rückmeldungen zu den beobachteten Interaktionen und Verhaltensweisen. Außerdem entwickelten sie Hypothesen zu den Ursachen dafür, warum sich einige Kinder besonders verhielten und überlegten sich, wie hilfreiche therapeutische Maßnahmen im Umgang mit diesen Besonderheiten aussehen könnten. So lernten die Studierenden nicht nur das Training selbst, sondern auch das Reflecting Team als systemische Methode kennen, um ihre Perspektiven- und Hypothesenvielfalt zu steigern.

Zwei Studierende erstellten zu Beginn der Trainingsverläufe einen Evaluationsplan. In diesen wurden die wahrgenommenen Trainingseffekte aus verschiedenen Beurteiler*innenperspektiven (Eltern, Erzieher*innen, Lehrer*innen, Trainer*innen und Beobachter*innen) eingetragen. Die Studierenden stellten Fragebögen zusammen, werteten diese aus und stellten die Effekte des Aufmerksamkeitstrainings bei der Modulabschlusspräsentation als Poster dar. Alle Studierenden formulierten dabei eigene Lernziele für ihre Übungszeit und reflektierten ihre Lernfortschritte.

Der praktische Übungsteil wurde ergänzt von einer theoretischen Einführung, zwei Supervisionssitzungen zur Gruppendynamik und herausfordernden Trainingssituationen sowie einer Abschlussevaluation. Einige Studierende nahmen an Abschlussgesprächen der Dozentin mit Eltern teil, in denen es um die Trainingsverläufe der Kinder ging.

„Ich bin begeistert von der Initiative, Kreativität und Lernfreude der Übungsgruppe, die sich im wahrsten Sinne des Wortes als aktive Lernende mit dem ebenso spannenden wie herausfordernden Feld der kindlichen Verhaltens- und Entwicklungsstörungen auseinandergesetzt haben. In diesem Prozess haben die Studierenden scheinbar beiläufig ihren persönlichen ‚Ressourcen-Koffer‘ mit vielfältigen neuen Methoden-, Fach- und Sozialkompetenzen füllen können“, berichtet Gawehn von den Lernprozessen und -ergebnissen innerhalb der Übung.

So sah die Präsentation der Ergebnisse der Evaluation der Trainingseffekte aus. Foto: hsg

Gruppe 2: Konzeptentwicklung im Kontext betätigungsorientierter Praxisforschung

Unter Leitung von Laura Scheele, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studiengang Ergotherapie an der hsg Bochum, wurde einer Gruppe von 16 Studierenden Wissen über kindliche Entwicklung, Betätigungen im Kindesalter, Schulfähigkeit, Gesundheitsförderung und Gemeinwesenorientierte Ergotherapie sowie zur Konzeptentwicklung vermittelt. Die Studierenden entwickelten in Kleingruppen von vier Personen eigenständig Empfehlungen für verschiedene Altersklassen. Hierzu verschafften sich die Studierenden Einblick in Probleme verschiedener kindlicher Lebensalter, analysierten den aktuellen Stand der Forschung und entwickelten darauf aufbauend ihre Projektideen. So möchte eine Gruppe von Studierenden innerhalb des präventiven Projektes ‚Beyond the Screen‘ Kinder in weiterführenden Schulen über den altersgerechten Umgang mit sozialen Medien aufklären, mögliche Gefahren aufzeigen und Alternativen zu Smartphones und Spielekonsolen in der Freizeit erarbeiten. Laura Scheele zeigte sich begeistert von der engagierten Teamarbeit der Studierenden: „Es war toll zu erleben, mit welcher Motivation und Verbindlichkeit die Studierenden in der Gruppe eigenständig ihre Projektideen entwickelt und ausgearbeitet haben.“

Hier wird das Modell des Visuellen Systems vorgestellt. Foto: hsg

Gruppe 3: Sehbeeinträchtigung im Kontext ergotherapeutischer Arbeit mit Kindern

Die Rehabilitationswissenschaftlerin und Dozentin der dritten Gruppe war Dr. Verena Kerkmann, die wissenschaftliche Mitarbeiterin in den Bezugswissenschaften an der Hochschule für Gesundheit ist. Sie entwickelt an der hsg zurzeit individuell zugeschnittene Lehrinhalte zum Thema ‚Sehen und Visuelle Wahrnehmung für die Gesundheitsfachberufe‘, wobei sie insbesondere die Ergotherapie in den Fokus nimmt.

Kerkmann sagt: „Grundlagen des kindlichen Sehens und seiner Vielfalt haben wir uns gemeinsam im Plenum erarbeitet, um anschließend in Kleingruppen intensiv und fokussiert zusammenzuarbeiten. Das war spannend und herausfordernd. Als sogenannter Fernsinn lässt Sehen sich nicht greifen, man muss Sehen und Sehbeeinträchtigung erlebbar machen, auch und vor allem durch Selbsterfahrung und gezielte Beobachtung.“

Aufbauend auf den Interessen und Fähigkeiten der Studierenden bildete sie in ihrer Gruppe ‚Sehen‘ drei Arbeitsgruppen: Eine ‚Werkstatt-Gruppe‘ baute in der hsg-Werkstatt ein Visuelles System aus Holz und Strukturpaste, das dem Forschungsstand zu neurologischen Sehbeeinträchtigungen entspricht. Durch die Nutzung des Geräts können Lehrende und Studierende Sehbeeinträchtigungen erleben und so ein besseres Grundverständnis für Probleme im Umgang mit Sehbeeinträchtigungen entwickeln. Das erstellte Gerät ist in der hsg-Bibliothek hinterlegt und dort zum Ausprobieren ausleihbar.

In der Gruppe ‚Entwicklung‘ befassten sich die Studierenden damit, wie die visuelle Entwicklung und die Entwicklung der Handfunktion beim Umgang mit Gegenständen zusammenhängen. Die Studierenden konnten dafür in der hsg-Kindertagesstätte Fuchsbau hospitieren und ließen ihre dort gesammelten Erfahrungen in eine Tabelle einfließen.

In der Gruppe ‚SPZ‘ hospitierten zwei Studierende in der Seh-Lotsen-Sprechstunde (SLS) von Dr. Verena Kerkmann im SPZ der Klinikum Dortmund gGmbH. Bei der SLS handelt es sich um ein innovatives Versorgungsmodell, das dort derzeit in der Entwicklungsneuropsychologischen Ambulanz (ENPA) erprobt wird. Aufbauend auf den Erfahrungen einer Sehbeeinträchtigung, welche die Studierenden mit Simulationsbrillen sammeln konnten, beobachteten sie Kinder mit Sehbeeinträchtigung. Anschließend entwickelten die zukünftigen Ergotherapeut*innen Ansätze für eine gezielte Beobachtung und ergotherapeutische Unterstützung bei visuellen Tätigkeiten wie dem Lesen.

Fortführung des Lehrprojekts ist geplant

Christian Postert denkt zufrieden an das Lehr-Lernprojekt zurück. Er meint: „Die Begleitung der selbstbestimmten Gruppenlernprozesse und die Breite und Tiefe der von Studierenden berichteten Erfahrungen waren beeindruckend. Das Engagement und die Begeisterung der Studierenden sind dabei sehr ansteckend – wir planen schon jetzt die Fortführung dieses Lehrprojekts für die nächste Kohorte von Ergotherapie-Studierenden.“

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