
Lehren und Forschen im Stadtteil
Gleich vom ersten Semester an verlegen die Studierenden des Studiengangs ‚Gesundheit und Sozialraum‘ Teile ihres Unterrichts in den Bochumer Stadtteil Wattenscheid. Eine Erfolgsgeschichte, die längst auch umliegende Städte fortschreiben möchten.
Wer an der hsg Bochum den Studiengang ‚Gesundheit und Sozialraum‘ studiert, muss bereits eine Fachausbildung im Gesundheitskontext haben. „Unsere Studierenden sind also schon Gesundheitsexpert*innen“, erklärt Prof. Dr. habil. Heike Köckler, Dekanin des Departments of Community Health und Professorin für Sozialraum und Gesundheit. „Ihr Wissen soll im Bachelor-Studiengang durch wissenschaftliche Methoden und Erkenntnisse erweitert und für den Bereich Gesundheit und Sozialraum optimiert und nutzbar gemacht werden.“ Die Themen können da sehr unterschiedlich sein: Luft- und Lärmbelastung zum Beispiel, Verkehr, Nachbarschaft, gesundheitliche Versorgung, Netzwerke oder Bewegungsangebote.
"Unsere Studierenden sind schon Gesundheits-Expert*innen“ (Prof. Dr. habil. Heike Köckler)
Ein Stadtteil, in dem die Menschen in ihren gesundheitlichen Möglichkeiten benachteiligt sind, bietet ein ideales Forschungsfeld, um praktisch zu lernen und zu arbeiten. Die Studierenden von Heike Köckler und ihrem Team zieht es daher regelmäßig nach Bochum-Wattenscheid, das beim Thema soziale Ungleichheit im gesamtstädtischen Vergleich hervorsticht: „In Bochum gibt es eine Gesundheitsberichterstattung, bei der aufgefallen ist, dass etwa Übergewicht bei Kindern sehr weit verbreitet ist“, erklärt Köckler. „Die Menschen in Wattenscheid sind aber auch bei weiteren gesundheitlichen Aspekten nicht so gut dran wie der Bochumer Durchschnitt.“

Warum das so ist, erforschen die Studierenden dort gemeinsam mit dem Quartiersbüro der Stadt. Welche Rolle spielt die laute A40, an die Wattenscheid grenzt? Wie sind Probleme wie die hohe Arbeitslosigkeit zu bewerten? Welche Probleme schildern Bewohner*innen und Akteur*innen? Gibt es Spielplätze, Grünflächen und sichere Wege dorthin? Welche Ressourcen sind in Wattenscheid vorhanden? Hierzu würden beispielsweise ruhige Orte, Vereine oder aktive Akteur*innen im Stadtteil zählen.
Jede Erkenntnis ist wichtig. Auch für die Stadt Bochum, die das Städtebauförderungsprogramm ‚Soziale Stadt‘ gezielt nutzt. Mit dem Programm will der Bund die Stabilisierung und Aufwertung städtebaulich, wirtschaftlich und sozial benachteiligter und strukturschwacher Stadt- und Ortsteile fördern, damit sich die Bevölkerungsstruktur nicht immer weiter vom städtischen Durchschnitt löst und eine Abwärtsspirale beginnt. Köckler: „Bochum verbindet das Programm gezielt und aktiv mit dem Thema Gesundheit, weil relativ gesichert ist, dass Menschen mit geringerem Einkommen und geringerer Bildung in den meisten Fällen auch gesundheitlich benachteiligt sind. Oftmals fehlen bestimmte Angebote und auch die ärztliche Versorgung ist in der Regel nicht so wie in anderen Stadtteilen.“
Weniger Kinderärzt*innen, zum Beispiel. Oder stark befahrene Straßen, die Kinder auf dem Weg zum Spielplatz nicht gefahrlos überqueren können. „Dann kann man mit baulichen Maßnahmen gegensteuern“, betont Köckler. „In Wattenscheid werden beispielsweise gerade ein wenig genutzter Park und eine Schule umgestaltet und ein Abenteuerspielplatz angelegt.“ Für die Studierenden ein ideales Lernfeld: „Wir fangen im ersten Semester mit dem Thema Soziologie des Sozialraums an und lernen am Beispiel Wattenscheid, wie man einen Sozialraum analysiert, unter anderem mit Stadtteilbegehungen, Netzwerkanalysen oder der Auswertung von Daten der Gesundheitsberichterstattung“, so Köckler.
"Mit baulichen Maßnahmen gegensteuern“ (Prof. Dr. habil. Heike Köckler)
Kennen die Studierenden den Ort erst einmal, forschen sie weiter – bis hin zu Abschlussarbeiten, die über Quartiers-Themen geschrieben werden.

Köckler: „Je weiter die Studierenden in ihrem Studium vorankommen, desto konzeptioneller werden sie. Sie lernen verschiedene Instrumente kennen, mit denen sie einen Sozialraum positiv beeinflussen und gesundheitsfördernde Lebenswelten für die Menschen dort schaffen können.“ Inzwischen haben sich weitere Städte für die Zusammenarbeit gemeldet, darunter das angrenzende Witten. Ideale Kooperationen, findet Heike Köckler, „denn Orte wie diese findet man überall in Deutschland. Und im Prinzip sind es die immer gleichen Herausforderungen, an denen die Studierenden wachsen können.“
Text: Tanja Breukelchen, freie Journalistin. Der Text erschien am 29. März 2019 im hsg-magazin.
Aufmacher: Ein Schnappschuss aus Bochum-Wattenscheid. Foto: hsg Bochum/Heike Köckler