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Studenten in der hsg Bochum

Wege ins Gesundheitswesen

31. März 2017

Als die Forscherinnen Dr. Shoma Berkemeyer, Vertretungsprofessorin für die „Methodologie der Gesundheitsforschung“, und Dr. Tanja Segmüller, Vertretungsprofessorin Alterswissenschaften, auf dem Hauptstadtkongress 2016 mit Kolleg*innen über das Thema „Gesundheitswege für Geflüchtete in Deutschland“ diskutierten, bildete sich eine Menschentraube vor dem Podium. Im Interview erzählen die beiden hsg-Vertretungsprofessorinnen, wie sie Erfahrungen und Wissen bundesweit sammeln und zugänglich machen wollen.

Ein großes Thema, das viele interessiert?

Dr. Shoma Berkemeyer: Ja, denn zu den vielen Geflüchteten, die in unser Land gekommen sind, kommt auch ein großer Bedarf an Personal im Gesundheitswesen. Wir möchten die Menschen entsprechend beraten und einen Zugang in die Gesundheitsberufe schaffen. Ein erster Schritt ist ein digitales Portal, das gerade erstellt wird, um insbesondere geflüchteten Menschen die Wege ins Gesundheitswesen und zu einem Gesundheitsberuf zu ermöglichen.

Dr. Tanja Segmüller: Auf dem Hauptstadtkongress wurde uns bewusst, wie unterschiedlich die Erfahrungen mit dem Thema in den einzelnen Bundesländern sind. Dieses Wissen wollen wir zusammenfügen. Das Thema hat zwei Seiten: Einerseits sind die Geflüchteten potentielle Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen, denn viele bringen bereits eine Qualifikation mit, haben zum Beispiel Medizin studiert oder als Pfleger*innen oder Therapeut*innen gearbeitet. Andererseits geht es uns aber auch um ihren konkreten Gesundheitsbedarf.

Dr. Tanja Segmüller und Dr. Shoma Berkemeyer wollen Geflüchtete in den Gesundheitsbereich stärker einbinden.
Dr. Tanja Segmüller (links) und Dr. Shoma Berkemeyer wollen Geflüchtete in den Gesundheitsbereich stärker einbinden. Foto: hsg-Bochum

Und auf beiden Seiten ist großer Handlungsbedarf.

Berkemeyer: Genau. Um überhaupt einen Beruf ergreifen zu können, muss vieles im Vorfeld geschaffen werden: Sprachkenntnisse müssen da sein und natürlich Kenntnisse über unser Gesundheitssystem. Umgekehrt muss den Geflüchteten als Patient*innen häufig bewusst gemacht werden, dass sie einen Anspruch auf Versorgung haben, aber selber aktiv werden müssen.

Da wäre es häufig einfacher, wenn die ersten Geflüchteten bereits Teil unseres Gesundheitssystems wären?

Segmüller: Ja, denn sie kennen ihre eigene Community und deren kulturelle Hintergründe am besten und sind wichtige Zugangspersonen. Sie bringen unheimlich viel Lebenserfahrung und kultureller Prägung mit. Im Gesundheitswesen geht es ja häufig darum, Gesundheitsbedarfe zu deuten. Wenn eine Frau aus dem arabischen Raum sagt, „Mir schmerzt das Herz“, würden wir in Deutschland das vielleicht als akute Herzbeschwerden deuten, dabei bedeutet diese Äußerung, dass sie seelische Sorgen hat. Und da wären die Qualifizierten, die einen Geflüchteten-Hintergrund haben, sehr hilfreich, um einen Zugang und ein Verständnis für die Betroffenen zu bekommen.

Berkemeyer: Um zumindest eine Vernetzung herzustellen, hat eine Studierende aus dem Bereich „Gesundheit und Sozialraum“ eine Website geschaffen, die Menschen mit Migrationshintergrund und entsprechenden Sprachkenntnissen nutzen können, um einen Kontakt aufzubauen, um dann auf dem direkten Weg zur Hilfe gerufen zu werden, wenn Menschen in Flüchtlingsunterkünften zum Arzt müssen. Sie begleiten und übersetzen dann.

„Wir möchten insbesondere geflüchteten Menschen die Wege ins Gesundheits­wesen und zu einem Gesundheitsberuf ermöglichen.“
Dr. Shoma Berkemeyer

Segmüller: Das ist ein gutes Beispiel von vielen, denn die hsg hat zahlreiche Aktivitäten in diesem Bereich – von niedrigschwelligen Projekten, die sich direkt an Betroffene richten bis hin zu strukturellen Projekten wie Plattformen, die Erfahrungswissen bündeln und es anderen zugänglich machen. Für die Zukunft wünschen wir uns, dass wir erste Studierende mit Geflüchteten-Hintergrund haben. Man denke nur an die Bereiche der Schwangeren, der Kinder, der Pflege alter Menschen – da wird in Zukunft ein riesiger Bedarf an Hebammen und Pflegekräften bestehen, den auch Geflüchtete helfen können auszufüllen.

Berkemeyer: Das wird eines unserer Hauptthemen der Zukunft. Daher denken wir so stark über eine möglichst umfassende digitale Vernetzung nach. Einige Projekte gibt es bereits, zum Beispiel das NRW weite Programm Integration durch Qualifizierung und Anerkennung in medizinischen Arbeitsfeldern, das Pflegepersonal, Hebammen, Entbindungspfleger und alle therapeutischen Berufe auf ihre Anerkennung hin überprüft und Möglichkeiten von zusätzlichen Sprachschulungen und fachspezifischen Schulungen vermittelt. Was uns aber fehlt, ist eine überschaubare Informationsquelle, was wo und in welchem Bundesland möglich ist. Wichtig ist, dass hinter allen digitalen Lösungen immer die menschliche Überzeugungskraft steht. Daran wird sich auch künftig nichts ändern.


 

Im Überblick: Digitale Plattformen zum Thema Geflüchtete und Gesundheit

Begleitung von Geflüchteten: basis-hilfe.de
Programm Integration durch Qualifizierung: netzwerk-iq.de
Vernetzung in der Forschung: deutsche-gesundheitsregionen.de
Berufliche Anerkennung in Deutschland: anerkennung-in-deutschland.de

Das Gespräch führte Tanja Breukelchen, freie Journalistin.
Aufmacher: hsg

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