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Zu sehen ist Prof. Dr. Sabine Hahn, Fachbereichsleiterin Pflege an der Berner Fachhochschule
Foto: hsg Bochum/WolfgangHelmFotografie

„Akademisierung fördert den Personalerhalt in der Pflege“

22. März 2021

Worin besteht für sie der #MEHRWERT der Akademisierung in den Gesundheitsfachberufen? Dieser Frage geht das hsg-magazin seit August 2019 in der Artikelserie #AKADEMISIERUNG nach. Im aktuellen Beitrag erläutert Prof. Dr. Sabine Hahn, Fachbereichsleiterin Pflege an der Berner Fachhochschule (BFH), ihren Ansatz zur Akademisierungsdebatte.

Prof. Dr. Sabine Hahn

„Der Ausbruch der COVID-19 Pandemie hat unsere Welt und unsere Lebensweise grundlegend verändert. Auch die Welt der Gesundheitsberufe und insbesondere der Pflegefachpersonen. Im Jahr 2020, dem WHO Jahr der Pflegefachpersonen und Hebammen erhielten Pflegende und der Pflegeberuf weltweit viel Aufmerksamkeit. Gut sichtbar für alle wurde, dass Pflegende mehr als ein gutes Herz und Hände für die anspruchsvolle Pflege benötigen. Das ist ja nicht nur in der Pandemie der Fall; immer kürzere Aufenthaltsdauern in Spitälern, ein hoch technologisiertes Gesundheitswesen, personalisierte Medizin und komplexe Patientensituationen fordern neben hoher fachlicher Kompetenz und evidenzbasiertem Handeln, psychische und physische Belastbarkeit, schnelles Denken und Intelligenz. Es ist schon sehr erstaunlich, vielleicht auch beschämend, dass erst in dieser Pandemie erkannt wird, wie anspruchsvoll und systemrelevant, da absolut überlebenswichtig, die Arbeit der Pflegefachpersonen ist.

Gerne wird ausgeblendet, wie fordernd und interkulturell anspruchsvoll die professionelle Pflege von körperlich und/oder psychisch erkrankten Personen ist. Als einzige Berufsgruppe sind Pflegende innerhalb ihrer Dienste 24 Stunden direkt im Kontakt und vor Ort, um erkrankte oder beeinträchtigte Personen und ihre Familien zu betreuen. Gerade in der Alters- und Langzeitpflege leisten Pflegefachpersonen sehr wichtige Arbeit, um die Lebensqualität von betagten Menschen zu erhalten und zu fördern. Dank Pflegefachpersonen können erkrankte oder beeinträchtigte Menschen so lange als möglich im eigenen Heim und bei stark fortgeschrittenen Beschwerden würdevoll in einer stationären Einrichtung leben. Diese Arbeit ist ebenfalls sehr herausfordernd, auch wenn sie von der Gesellschaft leider noch nicht als so wichtig eingeschätzt wird, wie die Akut- oder Intensivpflege. Aber was hat dies alles mit Akademisierung der Pflege und den neu entstandenen erweiterten Rollen, wie beispielsweise der Advanced Practice (Anm. der Redaktion: eine Advanced Practice Nurse ist eine akademisch weitergebildete Pflegefachperson, die qualifiziert ist, in einem Spezialgebiet der Patientenversorgung sowohl wissenschaftlich als auch praktisch tätig zu werden und Leitungsfunktionen einzunehmen.), zu tun?

Pflege ist eben kein nullachtfünfzehn Job, „Pflege braucht Eliten“, so wie dies schon in der 1992 erschienene Denkschrift der Robert Bosch Stiftung formuliert wurde. Pflege benötigt Akademiker*innen da die Verantwortung, die sie tagtäglich für die Gesundheit der Patient*innen, Heimbewohnenden und Klient*innen tragen, fundiertes aktuelles Wissen, eigenständiges Denken, sehr gute Kommunikation und Innovationen voraussetzen. Bei den gegenwärtigen Herausforderungen im Gesundheitswesen benötigen wir Pflegefachpersonen, welche die Fähigkeit haben, mit Veränderungen umzugehen und ihre Rolle entsprechend den Anforderungen zu entwickeln und zu erweitern. Dabei bedeutet Rollenerweiterung nicht, sich das Wissen und Können von anderen Berufen anzueignen, sondern die Fähigkeiten und Fertigkeiten innerhalb der eigenen Profession zu vertiefen, um mit neuen Rollen den veränderten Patientenbedarfen und den Herausforderungen des heutigen und zukünftigen Gesundheitswesens begegnen zu können. Gerade mit Blick auf die demografische Entwicklung oder neue Erkrankungen wie Covid-19 wird klar, dass wir einerseits insgesamt mehr gut ausgebildete Pflegefachpersonen im Gesundheitssystem brauchen und andererseits, dass mit den Kompetenzen des traditionellen Berufsbildes die steigenden Anforderungen häufig nicht mehr zu bewältigen sind. Schnelle oder kurzfristige Lösungen gibt es dafür keine – wie international schon üblich, führt der Weg über fundierte Ausbildungen auf Hochschulebene.

Zudem fördert Akademisierung durch neue Möglichkeiten der Laufbahngestaltung und Karrierewege den Personalerhalt. Dies ist beim gegenwärtigen Fachkräftemangel dringend notwendig. Im ärztlichen Bereich steigen in der Schweiz zur Zeit circa 14 Prozent der Ärzt*innen frühzeitig aus der direkten Patientenversorgung aus (Streit et al., 2019), bei den Pflegefachpersonen sind es hingegen rund 40 Prozent (Lobsiger & Kägi, 2016). Für den Personalerhalt müssen jedoch auch die Arbeitsbedingungen wie beispielsweise die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert werden (Hämmig, 2018; Lee et al., 2017; Peter, Hahn, Schols, & Halfens, 2020). Eine klare Rollen- und Funktionsbeschreibungen im beruflichen Alltag wirkt sich ebenfalls auf die Zufriedenheit im Beruf aus (Lipp, Hahn, & Schellinger, 2019). Daher ist es wichtig, dass wir für diese Rollenerweiterung in allen Gesundheitsberufen auch ein Professionalisierungskonzept erarbeiten, damit es nicht zu Identifikationsproblemen mit negativer Beeinflussung auf den Fachkräfteverbleib kommt (Dubois & Singh, 2009). Es ist also aus vielerlei Hinsicht höchste Zeit, dass auch in den deutschsprachigen Ländern die Akademisierung der Gesundheitsberufe vorangetrieben wird, so wie dies weltweit schon geschieht und wir uns an internationalen Standards ausrichten.“


Literaturverzeichnis:

Dubois, C. A., & Singh, D. (2009). From staff-mix to skill-mix and beyond: towards a systemic approach to health workforce management. Human Resources for Health.

Hämmig, O. (2018). Explaining burnout and the intention to leave the profession among health professionals – a cross-sectional study in a hospital setting in Switzerland. BMC Health Service Research, 18(1), 785. doi:10.1186/s12913-018-3556-1

Lee, Y. W., Dai, Y. T., Chang, M. Y., Chang, Y. C., Yao, K. G., & Liu, M. C. (2017). Quality of Work Life, Nurses’ Intention to Leave the Profession, and Nurses Leaving the Profession: A One-Year Prospective Survey. Journal of Nursing Scholarship, 49(4), 438-444. doi:10.1111/jnu.12301

Lipp, I., Hahn, S., & Schellinger, J. (2019). Grademix in der Schweizer Langzeitpflege: Konzepte, Einflussfaktoren und Umsetzung. NOVAcura, 7(19), 13-17.

Lobsiger, M., & Kägi, W. (2016). Analyse der Strukturerhebung und Berechnung von Knappheitsindikatoren zum Gesundheitspersonal (Obsan Dossier 53). Retrieved from Neuchâtel:

Peter, K. A., Hahn, S., Schols, J. M. G. A., & Halfens, R. J. G. (2020). Work-related stress among health professionals in Swiss acute care and rehabilitation hospitals-A cross-sectional study. Journal of Clinical Nursing. doi:10.1111/jocn.15340

Streit, S., da Costa, B. R., Christensen, S., Tal, K., Tandjung, R., & Juni, P. (2019). One in seven Swiss physicians has left patient care – results from a national cohort study from 1980-2009. Swiss Med Wkly, 149, w20116. doi:10.4414/smw.2019.20116


Drei-Länder-Tagung im Mai 2022 in Bern

Die nächste Drei-Länder-Tagung des Vereins zur Förderung der Wissenschaft in den Gesundheitsberufen (VFWG) wird am 5. und 6. Mai 2022 in Bern zum Thema ‚Rollen- und Professionsentwicklung in den Gesundheitsberufen‘ stattfinden. Aktuell können noch Call for Abstracts eingereicht werden. Weitere Informationen zur Tagung selbst sind auf der Veranstaltungsseite der BFH zu finden.

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