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Zu sehen ist Prof. Dr. Daniela Händler-Schuster

„Akademisierung in der Pflege unterstützt familiäre Kompetenzen“

15. November 2019

Worin besteht für Sie der Mehrwert der Akademisierung in der Pflege? Das hat das hsg-magazin Prof. Dr. Daniela Händler-Schuster gefragt. Die Pflegewissenschaftlerin und Berufspädagogin arbeitet am Institut für Pflege der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Im Rahmen der Dreiländertagung 2019 hat Daniela Händler-Schuster einen Vortrag zum Thema an der Hochschule für Gesundheit in Bochum gehalten.

Prof. Dr. Daniela Händler-Schuster: „Wissenszirkulation ist ein zunehmendes Thema: Um die Bevölkerung möglichst gut zu versorgen, muss das Wissen von Pflegefachpersonen in die Praxis einfliessen. Die Akademisierung der Pflege kann dazu beitragen.  Egal, in welchem Bereich akademisierte Pflegefachpersonen ihr Aufgabenfeld finden, sie sind stets Teil eines Behandlungsteams. Heute ist es wichtiger denn je, dass Pflegefachpersonen auf komplexe Situationen reagieren können. Wir haben eine Zunahme an älteren Menschen, die vor allem von Komorbiditäten, also von Begleiterkrankung, betroffen sind. Gleichzeitig nehmen chronische Krankheiten zu, nicht zuletzt geschuldet durch unseren Lebenswandel und die Möglichkeiten, die sich uns in der westlichen Welt bieten. Wenn Pflegende im interprofessionellen Feld agieren, ist eine gute Kommunikation zwischen den Professionen die Voraussetzung für eine optimale Betreuung und Pflege.

Situationen, in denen Pflege stattfindet, sind divers. Obgleich die Zusammenarbeit zwischen den Professionen vielerorts zugunsten einer bedarfsorientierten Pflegeversorgung noch optimiert werden kann, arbeiten heute schon viele Professionen eng miteinander. Wenn Pflegefachpersonen beispielsweise mit Physiotherapeut*innen zusammenarbeiten, kann das Mobilitätstraining, das die Patient*innen wieder beweglicher machen soll, nach einem chirurgischen Eingriff so gestaltet werden, dass es zur gewohnten Alltagsgestaltung passt. Weiterhin ist es hilfreich, den Termin zur Ernährungsberatung so zu planen, dass auch enge Familienmitglieder teilnehmen können, da diese meist am ehesten um die Bedürfnisse ihrer Angehörigen wissen. Das ist vor allem dann von enormer Wichtigkeit, wenn sich Personen aufgrund von Beeinträchtigungen nicht mehr adäquat selbst mitteilen können und auf die Hilfe anderer angewiesen sind.

Angehörige sollten in die Pflege einbezogen werden

Wenn ein Familienmitglied erkrankt, betrifft dies in der Regel nicht nur die Person selbst, sondern stets die ganze Familie. Diese Tatsache verpflichtet Pflegefachpersonen dazu, die Familien in die Pflege einzubeziehen. Studierende erlernen während ihrer Ausbildung, sich mit komplexen Situationen auseinanderzusetzen. Sind sie auf Masterstufe, können sie zum Beispiel als Pflegeexpert*innen «Advanced Practice Nurse» die Anwendung eines Familien-Assessments, also die Einschätzung einer familiären Situation, gezielt steuern. Dabei lernen sie, Behandlungen, die die ganze Familie betreffen, zu definieren und diese zusammen mit den Angehörigen umzusetzen.

Die akademisierte Pflege unterstützt familiäre Kompetenzen. Familien, so divers sie auch sind, können von der Akademisierung profitieren. Häufig kann erst durch eine akademisierte Pflege eine Betreuungskontinuität, also eine lückenlose Betreuung auch über das Krankenhaus hinaus, gewahrt werden, die ohne das Studium klinisch orientierter Praxis nicht möglich wäre. Dabei handelt es sich z. B. um das klinische Assessment, das Pflegende befähigt, Körperuntersuchungen selbstständig durchzuführen. Die Entscheidungskompetenz ist durch die Akademisierung viel stärker ausgeprägt, da sich Studierende während ihrer Ausbildung intensiv mit Fachinhalten auseinandersetzen und sich darin üben, ihr Wissen kritisch zu reflektieren und situationsbezogen anzuwenden.

Pflegefachpersonen mit akademischem Hintergrund tragen dazu bei, dass Behandlungsabläufe von einer (interprofessionellen) Kontinuität geprägt sind. Sie bilden jene Berufsgruppe, die am engsten mit der Familie arbeiten kann. Das prädestiniert sie dazu, wichtige Beratungsfunktionen zu übernehmen und zwischen den Diensten zu vermitteln.

Auf individuelle Präferenzen Rücksicht zu nehmen, Personen in der Teilhabe dabei zu unterstützen, bestehende Bedürfnisse zu erkennen, sowie die Familie mit einzubeziehen, ist jedoch nicht einfach. Leistungen, die Pflegefachpersonen erbringen, werden im heute im deutschsprachigen Raum zu wenig anerkannt und wertgeschätzt. Zusätzlich erschweren fehlende rechtliche Regelungen und mangelnde finanzielle Mittel die Pflegesituation. Eigentlich sollte jedem und jeder – auch der Politik – klar sein, dass die akademisierte Pflege hinsichtlich der Zunahme an komplexen Pflegesituationen weiter gestärkt und umgesetzt werden muss. Wir wissen heute, dass die professionelle Pflege vor allem in der klinischen Praxis gefragt ist und zwar dort, wo Menschen befähigt werden sollen, mit einer chronischen Erkrankung umzugehen und den Alltag möglichst ohne Hilfe zu bewältigen.

Akademisierung in anderen Ländern längst Alltag

Pflegefachpersonen mit akademischem Hintergrund sind im deutschsprachigen Raum derzeit neben der klinischen Praxis und der Beratung bei komplexen Pflegesituationen auch an der Umsetzung einer evidenzbasierten Pflegepraxis beteiligt. Somit tragen sie wesentlich zur (Weiter-)Entwicklung des Pflegeberufs bei. Die Praxisentwicklung ist ein kontinuierlicher (Lern-)Prozess, in dem auch das Pflegemanagement von besonderer Bedeutung ist. Dies reicht vom ärztlichen Dienst, über das Pflegemanagement und die Pflegeentwicklung bis hin zu den einzelnen Fachpersonen der jeweiligen Bereiche, in denen akademisierte Pflege ihren Einsatz findet. Hier können Pflegefachpersonen auf ganz unterschiedlicher Weise Handlungen ausführen.

Der Pflegeberuf ist seit jeher ein facettenreicher und spannender Beruf. Mit der Akademisierung hat dieser wesentlich an Qualität gewonnen. Durch das vertiefte Verständnis der Pflegepraxis ist es möglich, sich mit anderen Gesundheitsdienstleistern, wie z. B. Ärzt*innen auf Augenhöhe auszutauschen und miteinander zu kooperieren, was übrigens im Ausland seit vielen Jahren schon sehr gut gelingt. Pflegefachkräfte mit vertiefter Expertise sind in vielen Ländern bereits Schlüsselpersonen in der Begleitung von Familien mit chronisch erkrankten Angehörigen. Sie motivieren Teams und können dazu beitragen, dass eine Vision zwischen Theorie und Praxis getragen und gelebt werden kann. Ziele, die damit verbunden sind, gehören operationalisiert und auch evaluiert.

Natürlich braucht es zur Realisierung von akademisierter Pflegepraxis eine Führung, die nicht nur eine qualitative Pflege möchte, sondern auch eine hochstehende Pflege beschreiben kann. Mit einem reflektierten Skill- und Grademix, also einem Team, das aus Mitgliedern mit verschiedenen Abschlüssen und unterschiedlicher Berufs- und Lebenserfahrung besteht, in Institutionen, in denen Betreuung und Pflege stattfinden, kann die akademisierte Pflege einen Mehrwert darstellen – insbesondere für jene Institutionen, die sich weiterentwickeln und positionieren möchten.“


Text: Prof. Dr. Daniela Händler-Schuster. Der Text erschien am 15. November 2019 im hsg-magazin.

Aufmacher: Zu sehen ist Daniela Händler-Schuster bei ihrem Vortrag an der hsg Bochum. Foto: hsg Bochum/WolfgangHelmFotografie

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