Zum Inhalt springen

Akademisierung weiter vorantreiben

7. August 2018

Anlass des Beitrags ist das 10-jährige Jubiläum der hsg im Jahr 2019. In einem Gespräch mit dem hsg-magazin berichtet Prof. Dr. Sascha Sommer, Dekan des Departments für Angewandte Gesundheitswissenschaften (DAG) der Hochschule für Gesundheit (hsg Bochum), von seinen Aufgaben als Dekan und den Perspektiven des Departments. Er vertritt den Schwerpunkt ‚Kognitive Neuropsychologie‘ und wurde im April 2017 zum Dekan gewählt. Zuvor wirkte er bereits als Prodekan.

Sie sind seit April 2017 Dekan des Departments für Angewandte Gesundheitswissenschaft. Was ist Ihre wichtigste Aufgabe als Dekan?

Prof. Dr. Sascha Sommer: Die wichtigste Aufgabe als Dekan ist natürlich die Weiterentwicklung des Departments, aktuell besonders in Hinblick auf neue Studiengänge. Diese sollen der weiteren Akademisierung der Gesundheitsfachberufe dienen, aber auch ein breiteres Spektrum der Gesundheitsversorgung bedienen. So erhalten Bachelor-Absolvent*innen des DAG beispielsweise durch unseren Master-Studiengang Evidence-based Health Care (EbHC) die Möglichkeit, sich aus ihrer fachspezifischen Identität heraus breiter für die Gesundheitsversorgung aufzustellen.

 Was genau tun Sie dafür?

Sommer: Zurzeit befinden wir uns in der inhaltlichen Diskussion im Rahmen der Neuakkreditierung des Master-Studiengangs EbHC. Er soll natürlich weiterhin für „unsere“ Studierenden besonders interessant bleiben, sich gleichzeitig aber auch stärker für Absolvent*innen anderer Hochschulen öffnen. Außerdem befinden wir uns im DAG in einem Prozess zur Entwicklung weiterer Studiengänge. Dabei steht aber auch konkret ein Master-Studiengang zur Diskussion, der eher einen disziplinären Kern hat. Darüber hinaus wird bereits an der Konzeption eines weiteren Studiengangs Hebammenkunde gearbeitet, der beruflich bereits ausgebildete Hebammen und Entbindungspfleger akademisch nachqualifizieren soll. Damit reagieren wir prospektiv auf aktuelle rechtliche Entwicklungen, die es erwarten – und erhoffen – lassen, dass die Ausbildung zur Hebamme künftig auch in Deutschland zwingend akademisch sein wird.

Und eine weitere?

Sommer: Die andere zentrale hochschulpolitische Linie ist es natürlich, darauf hinzuarbeiten, dass die Modellstudiengänge in Regelstudiengänge überführt werden. Das ist das Fundament von allem. Wir hoffen sehr darauf, dass die Politik nicht die Modellstudiengänge in der heutigen Form einfach als Regelstudiengänge überführt. Es kann und sollte nicht so weitergemacht werden wie bisher. Aktuell wurde in diesem Zusammenhang beispielsweise gemeinsam mit den beiden Modellstandorten FH Münster und RWTH Aachen ein Positionspapier zu Fragen der Unterrichtsgestaltung, der Prüfungsorganisation und der Nachhaltigkeit der Modellstudiengänge erarbeitet. Darin werden für das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) des Landes Nordrhein-Westfalen Erkenntnisse und Empfehlungen formuliert. Diese Erkenntnisse und Empfehlungen werden vom MAGS wiederum in einem Gesamtbericht gebündelt, der an das Bundesministerium für Gesundheit geht und dort hoffentlich Beachtung im politischen Prozess finden wird. Wir formulieren dort in aller Deutlichkeit, dass sich die hochschulische Ausbildung der Gesundheitsfachberufe sehr viel stärker an akademischen Standards ausrichten muss.

 Was genau meinen Sie damit?

Sommer: Wir mussten in der Ergotherapie, Hebammenkunde, Logopädie und Physiotherapie, die im Wintersemester 2010/2011 an der hsg Bochum als Bachelor-Studiengänge starteten, die berufsgesetzlichen Vorgaben in ein akademisches Studium integrieren. Die Vorgaben durch die Berufsgesetze engen akademische Spielräume zum Teil stark ein und erfordern beispielsweise exorbitante Praxisstunden von unseren Studierenden. Außerdem bringt die Durchführung der Staatsexamen gemäß den berufsgesetzlichen Vorgaben einen immensen Mehraufwand für alle Beteiligten mit sich, inklusive der Gesundheitsämter als Aufsichtsbehörden für die Staatsexamen.

Prof. Dr. Sascha Sommer, Dekan des Departments für Angewandte Gesundheitswissenschaften (links im Bild; hier im Gespräch während der Tagung 'Gesundheit und Technologie' an der hsg im Herbst 2016), sieht als eine seiner wichtigsten Aufgaben an, das Department weiterzuentwickeln. Foto: hsg/Volker Wiciok

Sie fühlen sich durch das Beruferecht geknebelt?

Sommer: So kann es ausgedrückt werden. Wir werden in unseren akademischen Möglichkeiten durch das derzeitige Beruferecht begrenzt. Das muss sich ändern.

Wie wirkt sich das auf die Studierenden der hsg Bochum aus? Was kann künftig anders oder besser sein?

Sommer: Ich möchte betonen, dass wir bereits jetzt ausgezeichnete Studiengänge auf hohem akademischem Niveau anbieten. Doch die Studierenden sind durch die immens hohen Praxisstundenzeiten sehr stark gebunden. Sie haben dadurch beispielsweise kaum bis keine regulären Semesterferien. Das entfernt uns schon rein organisatorisch von einem normalen Studium und erschwert zum Beispiel auch Auslandsaufenthalte der Studierenden. Der zusätzliche Workload ist insgesamt immens. Auch auf der Seite der Lehrenden werden viele Ressourcen durch Staatsexamenprüfungen, Praxisbetreuung und ähnliches stark gebunden. Würden diese Ressourcen frei, stünden Sie natürlich an anderen Stellen zur Verfügung.

Sie können sich auch eine andere Prüfungsorganisation vorstellen?

Sommer: Die Prüfungen jenseits der Staatsexamen erfolgen natürlich generell gemäß den akademischen Standards. Hier geht es vor allem um die Organisation der Staatsexamen. Natürlich muss auch das Studium dem Beruferecht weiterhin entsprechen. Es geht mir allerdings darum, dass wir auf das Fundament des akademischen Denkens die Fachberuflichkeit setzen und uns unseren akademischen Anspruch nicht von viel zu engen Berufsgesetzen einschränken lassen.

 Welche dritte große Aufgabe haben Sie sich im Department gesetzt, neben der Etablierung weiterer Studiengänge und der Überführung der Modell- in die Regelstudiengänge?

Sommer: Die dritte große Linie war und ist die Interdisziplinarität. Wir verknüpfen im Department das disziplinäre Denken und Handeln mit einer interdisziplinären Perspektive. Diese Perspektive spielt nicht nur zwischen den Gesundheitsfachberufen eine Rolle, also dass beispielsweise Therapeut*innen gut mit Pfleger*innen zusammenarbeiten können, sondern sie spielt auch zwischen den Gesundheitsfachberufen und den anderen beteiligten Disziplinen, wie insbesondere der Medizin, eine entscheidende Rolle.

Disziplinäres Denken und Handeln mit einer interdisziplinären Perspektive verknüpfen – wie hier im Projekt ‚Interprofessionelles Handeln im Gesundheitswesen‘ (IPHiGen2.0) der hsg Bochum und der Ruhr-Universität Bochum, in dem die Berufsgruppen der Ergotherapeut*innen, Hebammen*Entbindungspfleger, Logopäd*innen, Mediziner*innen, Pfleger*innen und Physiotherapeut*innen zusammenwirken. Foto: hsg

Inwiefern ziehen Sie die Kompetenzen der anderen beiden Departments in der Hochschule hinzu?

Sommer: Die Kooperationen mit dem Department für Pflegewissenschaft und dem Department of Community Health liegen auf der Hand. Die Interdisziplinarität endet nicht an Departmentgrenzen und nicht an Hochschulgrenzen.

Welche Themen werden in den nächsten fünf bis zehn Jahren auf dem Programm stehen?

Sommer: Es werden weiter diese drei großen Linien sein. Das Interdisziplinäre bleibt Kernthema. Wir werden weiter Studiengänge entwickeln. Und die Akademisierung der Gesundheitsfachberufe wird nicht abgeschlossen sein. Deshalb ist die Entwicklung von Master-Studiengängen so wichtig, weil eine echte Akademisierung auch Master-Studiengänge braucht. Wir müssen Pfade etablieren, die die wissenschaftlichen Laufbahnen weiter verstetigen und Hochschulkarrieren ermöglichen. Forschung spielt dabei natürlich durchweg eine ganz entscheidende Rolle. Auch hier sind wir auf einem guten Weg, müssen unsere Forschungsaktivitäten aber stetig weiter ausbauen.

 Die hsg Bochum erweitert nach und nach ihren Mittelbau. Können Sie aus dem Pool der eigenen Absolvent*innen fischen?

Sommer: Ja, dem ist in der Tat so. Die Quote von eigenen Absolvent*innen im wissenschaftlichen Mittelbau steigt stetig.

Kristina Luksch hat an der hsg Bochum ihren Bachelor im Studiengang Hebammenkunde absolviert und studiert jetzt im Master-Studiengang Evidence-based Health Care. Aktuell arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studiengang Hebammenkunde im DAG. Foto: hsg/Volker Wiciok

Um die vielen Praxisstunden der Studierenden zu ermöglichen, arbeitet das Department mit über 550 Kooperationspartnern zusammen – vom Altenheim über therapeutische Praxen bis hin zu Kliniken. Welche Eigenschaften der Kooperationspartner der hsg Bochum schätzen Sie besonders?

Sommer: Ideal ist es, wenn unsere Kooperationspartner eine Bereitschaft für die Akademisierung im Sinne eines Transfers vom Department in die Praxis und von der Praxis zurück in das Department mitbringen. Dort, wo bereits akademisch ausgebildete Personen bei den Praxispartner*innen vor Ort sind, funktioniert dieser Transfer in der Regel besonders gut.

Werden denn die Absolvent*innen so in der Praxis eingesetzt, dass sie ihre erworbenen Kompetenzen gut einsetzen können?

Sommer: Die Praxis erkennt den Mehrwert unserer Absolvent*innen zunehmend an. Es ist und bleibt ein sehr großes Problem, dass die Vergütung nicht unbedingt dadurch höher ist, weil sich Absolvent*innen mit einem akademischen Abschluss in der Versorgungspraxis bewerben. Doch ich stelle zunehmend fest, dass Akademisierung und Qualität der Leistung in der Versorgungspraxis miteinander in Verbindung gebracht werden. Hier kann ich ein Beispiel aus der Logopädie nennen.

Gerne.

Sommer: In einem Gespräch mit einer Rehabilitationseinrichtung, wurde mir mitgeteilt, dass sich diese Einrichtung über die Qualität gegenüber lokaler Konkurrenz durchsetzen möchte und muss. Nachdem eine unserer Studierenden im Rahmen eines Praktikums dort einen sehr guten Eindruck hinterlassen hat, ist die Einrichtung nun auf den Studienbereich Logopädie zugekommen, weil sie auf der Suche nach akademisch qualifizierten Logopäd*innen ist und auch darüber hinaus verstärkt mit uns kooperieren möchte. Die ehemalige Praktikantin beginnt nun ihre Bachelor-Arbeit zu leitlinienorientierten Behandlungspfaden, mit der Rehabilitationseinrichtung als Praxisbeispiel. Erklärter Wunsch der Einrichtung ist es, unsere Studierende dann direkt zu übernehmen – auch mit der Aussicht auf eine der akademischen Ausbildung angemessene Entlohnung. Das sind natürlich idealtypische Wege, die wir gern mit unseren Partner*innen gehen wollen.

Die Zusammenarbeit mit den Kooperationspartner*innen bindet am Department für Angewandte Gesundheitswissenschaften sehr viele Ressourcen. Wird das so bleiben, auch wenn die Modellstudiengänge in den Regelbetrieb übergegangen sind?

Sommer: Die Zusammenarbeit mit den Kooperationspartner*innen wird natürlich weitergedacht, auch wenn die Ergotherapie, Hebammenkunde, Logopädie und Physiotherapie Regelstudiengänge sein werden. Im Moment benötigen wir für die Masse an Praxisstunden, die die Studierenden leisten müssen, sehr viele Praxiseinrichtungen, die bereit sind, unsere Studierenden aufzunehmen. Auch heute schon haben wir in allen Studienbereichen einen Kern an Premiumpartner*innen, mit denen wir besonders eng zusammenarbeiten. Außerdem gibt es ein breit gefächertes Spektrum an Kooperationspartner*innen, zu denen unsere Studierenden gehen, um ihre Praktika zu leisten, mit denen aber unsere Verzahnung nicht so eng ist. Hier könnten wir künftig stärker auf die Qualität der Praxispartner abheben, wenn die Zahl der Praxisstunden bei Partner*innen dadurch reduziert werden könnte, dass die Praxis in der Hochschule angerechnet wird.

Wodurch zeichnen sich die Studierenden des Departments für Angewandte Gesundheitswissenschaften aus?

Sommer: Viele unserer Studierenden erleben wir als ideele Menschen Unsere Studierenden müssen besonders engagiert sein, das sie ein solches Studium absolvieren, in dem eine Berufsausbildung in einer akademischen Ausbildung integriert ist. Sie erhalten am Ende eines erfolgreichen Studiums zwei Abschlüsse: die Berufsausbildung und ihren Bachelor-Abschluss. Da der Workload sehr hoch ist, fordert das per se ein höheres Engagement von unseren Studierenden ab. Wie in allen Bereichen der Gesundheitsberufe gibt es natürlich zahlreiche Studierende mit einer intrinsischen Motivation. Es ist eine Motivation aus sich selbst heraus. Sie tun dies, weil es ihnen wichtig ist, sich Menschen zu widmen, die sich in einer schwierigen gesundheitlichen Lage befinden.

Gleiches gilt auch für die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen?

Sommer: Auch unsere wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen waren und sind ja Pioniere in ihrer Disziplin. Wir erleben auch bei ihnen ein hohes Engagement für die Akademisierung der Gesundheitsfachberufe und eine sehr hohe Motivation.

Der besondere Standort der Hochschule: Im Bildmittelpunkt sind die weißen Gebäude des Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen gut zu sehen. Von links nach rechts: Das Gebäude des Landeszentrums Gesundheit (LZG.NRW ), des Krebsregisters Nordrhein-Westfalen (LKR NRW) und des Landesinstituts für Arbeitsgestaltung (LIA.nrw). Daneben stehen das Hochschulgebäude der hsg Bochum sowie das Gebäude mit Mensa, Hörsälen, hsg-Bibliothek, Konferenzbereich und Cafeteria. Im Bau daneben befindet sich das Forschungszentrum für molekulare Proteindiagnostik (kurz Prodi) der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Hinter dem hsg-Gebäude liegt die Fakultät für Sportwissenschaft der RUB. Vorne im Bild sind einzelne Unternehmen der Gesundheitswirtschaft zu sehen, die sich auf dem Areal des Gesundheitscampus Bochum angesiedelt haben. Foto: Lutz Leitmann/Stadt Bochum Presseamt

Wie bewerten sie den Standort der Hochschule, hier auf dem Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen in Bochum?

Sommer: Der Standort der Hochschule ist exzellent. Die Wissenschaftler*innen und die Studierenden schätzen den Standort sehr, weil wir hier eine gute Anbindung zu anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens haben. Auch die Ausstattung in unseren Skills-Labs wird von hsg-Angehörigen sehr geschätzt. Die Möglichkeiten dieser Hochschule für die Akademisierung und Weiterentwicklung der Gesundheitsfachberufe überragen deutlich die anderer Hochschulen. Wir haben die Partnereinrichtungen um uns herum, haben in der Hochschule selbst ein ausgezeichnetes Inventar, können hier praxisorientiert Lehren … das Gesamtpaket stimmt.

Das Interview führte Dr. Christiane Krüger, Pressesprecherin der hsg Bochum. Der Text erschien am 07. August 2018 im hsg-magazin.

Aufmacher: hsg/Volker Wiciok

kooperieren & vernetzen
|
19. Juli 2017

„Kontaktpflege ist wichtig – auch in Berlin“

Zahlreiche Wissenschaftler*innen der Hochschule für Gesundheit (hsg) haben sich auf dem Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit in ...
wissen & austauschen
|
26. April 2018

Die Zentrale Studienberatung

Im Interview erklären Claudia Herm, Esther Mara Junker und Nadine Bitterwolf von der Zentralen Studienberatung der Hochschule für ...