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Der Brexit und das Gesundheitssystem

8. Januar 2018

Im Dezember 2017 referierte Dr. Markus Wübbeler, Vertretungsprofessor in der Pflegewissenschaft an der Hochschule für Gesundheit (hsg), bei dem Symposium ‚Brexit means Brexit?‘ der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz. Welche Thesen er in seinem englischsprachigen Vortrag ‚Ageing UK and Brexit: Consequences for the Healthcare System?‘ vertrat und wie er die Konsequenzen eines Brexits für das Gesundheitssystem und die Wissenschaft einschätzt, verrät er im Interview mit dem hsg-magazin.

Worüber genau haben Sie bei dem Symposium referiert?

Markus Wübbeler: Mein Thema war natürlich das Gesundheitssystem. Es ging zum Beispiel darum, dass derzeit sehr viele Ärzte*innen und Pflegefachkräfte aus Europa in Großbritannien beschäftigt sind, denn seit Jahren werden in Großbritannien systematisch zu wenige Ärzte*innen und Pflegekräfte ausgebildet, da die Ausbildung teuer ist. Die fehlenden Ressourcen werden dann mit Ärzte*innen und Pflegefachkräften aus dem europäischen Ausland ausgeglichen. Das Personal in Großbritannien ist also knapp bemessen und wenn auch nur ein paar Tausend Fachkräfte aufgrund des Brexits gehen würden, wäre die Konsequenz eine große Versorgungslücke.

Als einen anderen Punkt habe ich in meinem Beitrag im Rahmen des Symposiums die Situation von Rentner*innen aus Großbritannien angesprochen, die im europäischen Ausland, zum Beispiel in Spanien, leben. Über die europäische Gesundheitskarte werden diese momentan relativ problemlos im Gesundheitssystem versorgt. Wenn es zu einem harten Brexit kommt, ändert sich dies jedoch von heute auf morgen. Die Rentner*innen müssten dann entweder selber für ihre Gesundheitskosten aufkommen oder wieder ins britische Gesundheitssystem zurückkehren. Durch einen Brexit würde das britische Gesundheitssystem also vor einige Herausforderungen gestellt.

Welche Konsequenzen könnte der Brexit für das Gesundheitssystem in Deutschland haben?

Wübbeler: Für den demographischen Wandel, der uns im Gesundheitswesen als allererstes betrifft, werden wir auch in Zukunft auf Migration von Fachkräften angewiesen sein. Wir brauchen also grenzübergreifende Migration. Diese wird aber schwieriger, wenn man von der europäischen Union und ihren Errungenschaften Abstand nimmt.

Für die Gesundheitsversorgung in Deutschland hat der Brexit allerdings zunächst möglicherweise sogar eher positive Auswirkungen, weil so ja Fachkräfte, die momentan in Großbritannien tätig sind, möglicherweise nach Deutschland auswandern. Dadurch könnten wir hier paradoxerweise einen Teil unseres Fachkräftemangels ausgleichen.

Bei diesen Überlegungen sollte man aber auch nicht vergessen, dass wir auch viel von der Forschung in Großbritannien profitieren und die wissenschaftliche Zusammenarbeit nach einem Brexit erschwert wird.

Könnte also auch die Forschung in Deutschland durch einen Brexit tangiert werden?

Wübbeler: Ja, auf jeden Fall, denn Wissenschaft braucht Freiheit und je weniger Grenzen wir haben, desto besser ist gute Forschung realisierbar. Das gilt auch für Landesgrenzen. Bisher konnten wir in Deutschland viel von der exzellenten Forschung in Großbritannien auf dem Gebiet der Pflege profitieren. Ich erinnere hier nur beispielhaft an die große Pflegewissenschaftlerin Florence Nightingale. Nach einem Brexit könnte eine große Lücke in der europäischen Forschungslandschaft entstehen und außerdem wird vermutlich die Sichtbarkeit der europäischen Forschung weltweit nachlassen.

Und sind auch konkrete Folgen für die Studierenden an der hsg denkbar?

Wübbeler: Ja, hier denke ich zum Beispiel an das Thema Erasmus. Es ist ja so, dass Studierende der hsg gerne einen Auslandsaufenthalt in Großbritannien planen. Das liegt für viele nahe, weil eigentlich jede*r Studierende Englisch spricht und es daher kaum zu Sprachbarrieren kommt. Außerdem gibt es an den Hochschulen in Großbritannien nicht selten eine engmaschigere Betreuung. Für diejenigen, die in ihrem Studium einen Auslandsaufenthalt in Großbritannien vorhaben, wird es aber vermutlich nach dem Brexit schwieriger, diesen Plan umzusetzen.

Was würden Sie sich für die Zukunft in Bezug auf den Brexit wünschen?

Wübbeler: Ich wünsche mir, dass die europäische Idee wegen des Brexits nicht an Fahrt verliert. Operativ gesehen sollte Verlässlichkeit geschaffen werden, insbesondere für eine hochwertige Gesundheitsversorgung älterer und multimorbider, also mehrfacherkrankter, Patient*innen. Neben der Verlässlichkeit sollte es zusätzlich um Schnelligkeit gehen, denn je mehr Zeit wir bei den Brexit-Verhandlungen verlieren, desto mehr Unsicherheit entsteht. Es besteht die Gefahr, dass am Ende vor allem die Bürger*innen darunter leiden. Aus diesem Grund sollten nicht nur die Eliten an diesen Diskussionen beteiligt werden – der Brexit betrifft vor allem die ganz normale Bevölkerung.


Ein englischsprachiger Text zum Thema von Dr. Markus Wübbeler kann hier nachgelesen werden.


Das Interview führte Dr. Anna Knaup, Online-Redakteurin des hsg-magazins
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