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Digitale Gesundheitskompetenz

7. August 2017

Auch vor dem Gesundheitssystem und den Gesundheitsberufen macht die Digitalisierung selbstverständlich keinen Halt. In diesem Beitrag klärt Prof. Dr. Wolfgang Deiters, Professor für Gesundheitstechnologien im Department of Community Health an der Hochschule für Gesundheit (hsg), über die Chancen und Risiken der Digitalisierung auf und plädiert für die Entwicklung einer digitalen Gesundheitskompetenz.

Das hinter allem liegende Instrument des Internets ist zum allgegenwärtigen Gestalter fast aller unserer Lebensbereiche geworden. Das deutsche Gesundheitssystem hat sich in diesem Themenfeld in der Vergangenheit aber eher zurückhaltend aufgestellt. Während in unseren Nachbarländern eine elektronische Vernetzung und eine Einführung von elektronischen Aktensystemen als Mittel der intersektoralen Kommunikation zum Teil schon vor zehn Jahren erfolgt ist, arbeiten wir uns hierzulande immer noch ab am Projekt ‚Telematik-Infrastrukur‘, das den Aufbau einer Datenautobahn und die Etablierung von elektronischen Kommunikationsdiensten (E-Arztbriefe, E-Akten, E-Rezepte, etc.) zum Ziel hat.

Während wir uns also bei der Digitalisierung in Deutschland eher in einer Nachzügler- als in einer Treiberrolle befinden, lässt sich aber ebenso feststellen, dass viele einzelne Bürger*innen ihren Zugang zu Digital Health auf ganz unterschiedliche Art finden oder bereits gefunden haben. Die Mehrheit von uns informiert sich über gesundheitliche Fragen im Netz und begegnet Mediziner*in / Pfleger*in / Therapeut*in damit zunehmend mehr auf Augenhöhe. Viele Menschen nutzen Apps und Sensorik (z.B. Fitnessarmbänder), um sich selbst zu beobachten und gegebenenfalls im Gesundheitsverhalten zu steuern. Menschen in Gesundheitsberufen (Health Professionals)  nutzen zum Teil existierende Social-Media-Dienste (in Ermangelung nicht existierender offizieller Kommunikationsdienste) untereinander oder zum Austausch mit Patient*innen. Dieses sind nur einige, wenige Beispiele, die zeigen: die Digitalisierung des Gesundheitswesens wird von uns allen vorangetrieben. Dieser Prozess vollzieht sich aber bislang nahezu ausschließlich auf der Mikroebene (der Ebene des Einzelnen) und wird auf der Makroebene (Systemebene) weitestgehend nicht gesteuert bzw. nicht strukturiert.

"Die Digitali- sierung des Gesundheitswesens wird von uns allen vorangetrieben", Prof. Dr. Wolfgang Deiters, Professor für Gesundheits- technologien an der hsg

Strategien für den Aufbau einer digitalen Gesundheitskompetenz

In Fragen der Digitalisierung des Gesundheitssystems stellt sich also nicht mehr die Frage des ‚ob‘, sondern mehr des ‚wie‘. Den vielen Chancen einer Digitalisierung stehen natürlich auch Risiken entgegen. Insbesondere gilt es folgende Fragen zu beantworten: Was bedeutet Digitalisierung für Health Professionals und Patient*innen oder Bürger*innen? Welche Kompetenzen werden nötig? Wenn Gesundheitskompetenz (Health Literacy) also Wissen, Motivation und Handlungskompetenz bezeichnet, dann brauchen wir in Zukunft eine digitale Gesundheitskompetenz (Digital Health Literacy). Diese kann und darf sich nicht ‚en passant‘ entwickeln, sondern muss systematisch geplant und strukturiert entwickelt werden. Wir brauchen also Strategien für den Aufbau einer digitalen Gesundheitskompetenz:

  • Genauso wie in der Gesellschaft allgemein eine unterschiedliche Affinität zur Digitalisierung besteht, findet sich diese auch bei Menschen im Gesundheitswesen. Eine Digitalisierung im Sinne von Einführung technischer Systeme ist also nur so gut wie die Befähigung der Menschen, diese Systeme zu nutzen. Um einen Digital Divide zu vermeiden, ist Aus-, Fort- und Weiterbildung zu Fragen der Digitalisierung also ein zentrales Thema. Diese muss Eingang in betriebliche Einführungsprozesse genauso wie in berufliche Ausbildungssysteme finden.
  • Digitale Technologien ermöglichen völlig neue Gesundheitsdienste und die Verbesserung etablierter Arbeitsweisen. Digitalisierung ist damit vorrangig auch ein Thema der Prozessgestaltung: die eingesetzten Technologien sind immer nur so gut wie die (optimierten) Arbeitsprozesse, in denen sie eingesetzt werden bzw. wie diese gelebt werden. Damit bekommt der/die Endnutzer*in eine zentrale Rolle, denn nur unter einer partizipativen Einbeziehung in die Mitgestaltung der Prozesse lässt sich das Verbesserungspotential heben.
  • Digitalisierung führt zwangsläufig zu einer Vielzahl neuer Daten. Für eine systematische Erhebung, Auswertung und Aufbereitung wird ein besonderes Kompetenzprofil benötigt: eines, das Methodenkompetenz (qualitativ, quantitativ), Gesundheitskompetenz und Datenkompetenz vereinigt. Zur Erlangung dieses komplexen Profils wird eine Qualifizierung zum Health Data Manager benötigt.
  • Daten bergen ein Nutzenpotential, Daten bergen aber genauso ein Missbrauchspotential. Dies gilt allgemein, mehr noch aber für den Bereich der Gesundheitsdaten. Datenschutz und Datensicherheit sind damit zentrale zu beherrschende Themen. Eine Gesundheitsversorgung, die verstärkt auf Daten setzt, ist auch aus ethischer Sicht sehr genau zu betrachten und zu gestalten. Digitale Dienste bieten Chancen und Risiken. Der Aufbau einer digitalen Gesundheitskompetenz erfordert somit auch, diese Chancen und Risiken zu erkennen und in die Gestaltung der Dienste einfließen lassen zu können.

Digitale Souveränität

Digitalisierung ist ein Thema, das ein erhebliches Verbesserungspotential für das Gesundheitswesen birgt und entfalten kann. Digitalisierung bringt neue Technologien hervor, die völlig neue Versorgungsstrukturen ermöglichen, zum Beispiel über Patient-Empowerment, telemedizinische Anwendungen, technische Assistenzsysteme zum Erhalt der Selbständigkeit im Alter. Digitalisierung ist aber kein technisches Thema allein, es erfordert Prozessdenken, Digitale Gesundheitskompetenz und Digitale Souveränität: die Fähigkeit für Bürger, Patienten und Health Professionals, digitale Angebote nutzen zu können UND die Fähigkeit entscheiden zu können, wo digitale Dienste NICHT eingesetzt werden sollen.


 

Text: Prof. Dr. Wolfgang Deiters, Professor für Gesundheitstechnologien im Department of Community Health an der Hochschule für Gesundheit (hsg)

Aufmacher: hsg