
„Man darf Sorgen teilen“
Manchmal kann die Strategie „Augen zu und durch“ eine sein, die in Belastungssituationen hilft. Viel häufiger ist aber auch ein Gespräch mit einem außenstehenden Menschen ein gutes Ventil persönliche Belastungen zu minimieren, Lösungswege und Entscheidungen zu finden – vor allem dann, wenn die Belastung stark ausgeprägt ist und bereits andauert. Die Hochschule für Gesundheit (HS Gesundheit) in Bochum bietet allen Studierenden eine psychosoziale Beratung an. Was die kostenlose Sprechstunde ausmacht, das verrät Diplom-Sozialpädagogin Brigitta Haberland im Interview.
Mit welchen Fragestellungen kommen die Studierenden häufig in Ihre Sprechstunde?
Brigitta Haberland: Es geht bei allen Fragestellungen immer um persönliche kleine und große Sorgen, um Belastungssituationen. Häufig stehen sie direkt mit dem Studium im Zusammenhang wie zum Beispiel Prüfungsangst, Motivationsschwierigkeiten oder die vielleicht gerade im Kopf umherkreisende Frage, ob der auserwählte Studiengang und der angestrebte Beruf wirklich eine gute Entscheidung sind. Die Verantwortung in den Gesundheitsberufen ist groß, sie kann auch beängstigend sein. Das kann zum Beispiel die Angst sein, im Berufsalltag einen folgenschweren Fehler zu machen oder die Sorge, der Belastung nicht stand zu halten. In einem vertraulichen Gespräch klären wir die Auslöser solcher Gefühle und suchen nach individuellen Wegen, wie der*die Betroffene seine*ihre Lage verbessert.
Kommen die Studierenden auch mit Fragen zu Ihnen, die vielleicht nicht primär mit dem Studium in Verbindung stehen?
Brigitta Haberland: Ja, manchmal geht es auch um persönliche Belastungen, die aus Situationen des privaten Lebens resultieren, die sich aber aufs Studium auswirken. Dazu können zum Beispiel Sorgen um die aktuelle Wohnsituation, Probleme in der Partnerschaft, schwer erkrankte Familienmitglieder, der plötzliche Verlust eines nahestehenden Menschen oder Gefühle von Einsamkeit gehören. All das kann Studierende, wie ja uns alle, in tiefe Krisen stürzen und psychisch so viel Kraft abverlangen, dass man nicht mehr schlafen kann, in Grübelschleifen festhängt oder andere belastende Reaktionen an sich bemerkt. In solchen Ausnahmesituationen können viele Menschen sich dann kaum noch auf anderes konzentrieren. Im Studium ist das natürlich ein Problem. Daher nutzen Studierende dann das Gespräch mit mir, um sich auszusprechen und mit mir als Außenstehende einen neuen Blick auf ihre Situation zu gewinnen.
Inwiefern kann eine solche Sprechstunde eine Hilfe für Studierende sein?
Brigitta Haberland: Nehmen wir folgendes Beispiel: Manchmal fühlt man sich wie in einer Zwickmühle. Man hat so viele Dinge, die man gleichzeitig tun muss, aber schlichtweg keine Zeit. Man weiß genau, dass es richtig wäre, mindestens eine Sache davon aufzugeben. Doch welche? Man grübelt, dreht sich gefühlt im Kreis. Der Kopf schwirrt. Die Belastung nimmt weiter zu. Aber keine Lösung in Sicht. In solchen Situationen kann das Gespräch mit einem außenstehenden Menschen helfen, wieder Klarheit zu bekommen, Orientierung zu finden, um die eigene Motivlage zu analysieren und wieder Prioritäten setzen zu können. Anderes Beispiel: Ein häufiges Anliegen der Studierenden ist mit Prüfungsangst besser umgehen zu können. Ich schaue in den Gesprächen dann mit den Studierenden erst einmal, was sich hinter ihrer Angst verbirgt. Was meint die Person mit Prüfungsangst? Was hat sie schon alles probiert, um sie in den Griff zu bekommen? Ist die Angst vielleicht ein alter Bekannter? Gemeinsam schauen wir dann, was für Möglichkeiten es noch gibt – und die können ganz individuell sein – ihre Angst zu reduzieren.
Diplom-Sozialpädagogin Brigitta Haberland: „In manchen Belastungssituationen ist es einfacher mit einem außenstehenden Menschen zu sprechen.“
Welchen Vorteil birgt es mit einem außenstehenden Menschen über seine Sorgen zu sprechen?
Brigitta Haberland: In manchen Belastungssituationen ist es einfacher mit einem außenstehenden Menschen, der völlig unvoreingenommen ist und die oder den ratsuchende*n Studierende*n auch nicht kennt, zu sprechen. Im Freundes- oder Familienkreis kann es ja schnell passieren, dass Emotionen das Gespräch bestimmen oder das Bild, das Freunde*innen oder Familie von uns haben. Auch die Art des Gesprächs ist eine andere, weil ich einem Außenstehenden meine Geschichte anders erzählen werde als einer vertrauten Person. Schon dieser Prozess kann mir helfen, meine eigene Lage klarer zu sehen. Aber auch die gesprächstherapeutischen Techniken der Beratung helfen mit, dass Ratsuchende ihre Gefühle ordnen, und nach und nach neue Perspektiven entwickeln und sich stabilisieren können.
Was ist das Ziel einer Beratungssprechstunde?
Brigitta Haberland: Ziel ist die emotionale Stabilisierung und Unterstützung der Ratsuchenden, ihre individuellen Lösungswege für ihre Lage zu finden und die individuelle Problemlösefähigkeit, die zweifelsfrei in jedem von uns steckt, die aber in Belastungssituationen häufig geschwächt ist, zu stärken. Aber manchmal kann das Ziel auch nur darin bestehen, für den anderen Zeit zu haben und mitauszuhalten, was nicht mehr zu ändern ist.

Wo grenzt sich die psychosoziale Beratung von einer Therapie ab?
Brigitta Haberland: Im Mittelpunkt der Therapie steht die Behandlung einer seelischen Erkrankung oder eines Leidens mit Krankheitswert mit dem Ziel der Heilung beziehungsweise Vermeidung einer Verschlimmerung. Bei der psychosozialen Beratung geht es dagegen um eine Form der ersten Hilfe in seelischen Drucksituationen, die jeden treffen kann, ohne gleich Krankheitswert zu haben. Sie ersetzt keine Therapie, sondern ist ein niedrigschwelliges Angebot, das während des Studiums helfen kann, belastende Lebenslagen zu schultern, neue Strategien für den Umgang in diesen schwierigen Lebensphasen zu finden und bei Bedarf auch weitere professionelle Unterstützungsangebote. Dahinter steht der Gedanke: Krisen gehören zum Leben. Und niemand muss Sorgen oder Belastungen mit sich alleine ausmachen.
Im Gegenteil: Man darf Sorgen teilen. Das ist kein Ausdruck von Schwäche, sondern von Selbstfürsorge. Man muss sich „nur“ ein Herz fassen. Das hört sich einfach an. Aber tatsächlich ist es das eigentlich Schwere. Sobald Studierende dann aber diesen Schritt gewagt haben, merken viele: Sich selbst aktiv Hilfe zu holen, baut auf. Man spürt, dass man dabei ist, sein Leben wieder in die eigene Hand zu nehmen.
Was passiert mit dem, was die Studierenden Ihnen anvertrauen?
Brigitta Haberland: Das bleibt bei mir, ich unterliege der Schweigepflicht. Die Studierenden brauchen keine Angst zu haben, dass Gesprächsinhalte, die sie mir anvertrauen, an die Studienbereiche oder gar die Hochschulleitung gehen. Unsere Gespräche finden in einem geschützten Raum statt. Und wenn ein Beratungsgespräch nicht ausreicht, dann biete ich die Möglichkeit an, auch gerne ein zweites oder drittes Mal zu mir in die Sprechstunde zu kommen.
Welche drei Tipps würden Sie Studierenden für ihre Studienzeit mitgeben?
Brigitta Haberland: Erstens: Dinge nicht zu lange auflaufen zu lassen oder anders gesagt: Unangenehme Dinge, wenn möglich, schnell zu erledigen. Zweitens: Kleine, erreichbare Ziele setzen. Drittens: Sich Auszeiten zur eigenen Erholung gönnen. Sprich: Sich selbst etwas Wert sein!
Hinweis: Die HS Gesundheit bietet die kostenlose psychosoziale Beratung in Kooperation mit der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe an. Die Beratungsgespräche finden im Gebäude der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Altenbochum (Raum 110) statt. Beratungsgespräche können aber auch telefonisch stattfinden. Für eine vorherige Terminvereinbarung wenden Sie sich bitte an Diplom-Sozialpädagogin Brigitta Haberland (haberland@evh-bochum.de; Tel. 0234 36901-236). Nähere Angaben sind nicht erforderlich, da die Klärung des Anliegens im Gespräch stattfindet.

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