
„Starker politischer Wille wahrnehmbar“
Prof. Dr. Anne Friedrichs übernahm am 1. November 2009 das Amt der Gründungspräsidentin der Hochschule für Gesundheit, der ersten staatlichen Fachhochschule für Gesundheitsberufe in Deutschland, mit Sitz in Bochum. Im Jahr 2019 feiert sie mit der Hochschule zehnjähriges Jubiläum. Welche Erinnerungen und Zukunftsaussichten sie umtreiben, beantwortet sie im Interview.
Wann haben sie zum ersten Mal von der geplanten Gründung der Hochschule gehört?
Prof. Dr. Anne Friedrichs: Im Januar 2009 erhielt ich bei einem Urlaubsspaziergang im Schnee in Salzburg einen Anruf aus dem Wissenschaftsministerium. Ich wurde gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, Gründungspräsidentin dieser Hochschule zu werden.
Eine von der Landesregierung NRW benannte unabhängige Expertenkommission hatte eine Empfehlung für das Spektrum der Hochschule erarbeitet. Die Modellklauseln in den Berufsgesetzen der therapeutischen Gesundheitsfachberufe sowie der Hebammen im Jahr 2009 hatten das Profil der hsg Bochum gewissermaßen schon vorgegeben. Die Pflege spielte von Beginn an eine zentrale Rolle. Wie haben Sie damals das Thema Akademisierung der Gesundheitsfachberufe erlebt?
Friedrichs: Schon vorher, in meiner Zeit als Dekanin im Fachbereich ‚Soziale Arbeit und Gesundheit‘ an der Hochschule in Emden, hatten wir das Thema Akademisierung in den Gesundheitsberufen mitgedacht. Neu war in Nordrhein-Westfalen allerdings die Form der primärqualifizierenden Studiengänge. In der Diskussion damals stand hinter alldem noch ein großes Fragezeichen.
Auch in Nordrhein-Westfalen?
Friedrichs: Hier war ein sehr starker positiver politischer Wille wahrnehmbar, der sich in der Gründung der Hochschule mit einem Neubau und 60 Professoren-Stellen sowie in der Bundesratsinitiative für die Modellklauseln in den Berufsgesetzen zeigte.
Das Thema Akademisierung war recht neu und umstritten. Wie erleben Sie die Diskussionen heute?
Friedrichs: Wir haben zum einen allgemeine Diskussionen bezüglich des Umfangs der Akademisierung der Gesundheitsberufe. Zum anderen gibt es spezielle Diskussionen in den unterschiedlichen Gesundheitsberufen. Für die Pflege haben wir jetzt zum Beispiel ein modernes Berufsgesetz, das neben der fachschulischen ausdrücklich eine grundständige akademische Ausbildung vorsieht. Wir haben eine besondere Situation bei den Hebammen, da nach der EU-Richtlinie und auch aus Sicht des Bundesministeriums für Gesundheit ab dem Jahr 2021 die Vollakademisierung der Hebammen in Deutschland kommen soll. In den Therapieberufen ist nach wie vor unklar, wie eine Akademisierung umgesetzt wird. Für uns ist es ein wichtiges Ziel, dass bis Ende 2021 die Modellstudiengänge endlich in den Regelbetrieb überführt werden.
Was war denn im Rückblick auf die letzten zehn Jahre für Sie ein besonders glücklicher Moment?
Friedrichs: Die Begegnungen mit den Studierenden machen natürlich immer besonders viel Freude, vor allem zu so feierlichen Anlässen wie den Immatrikulations- oder Absolventenfeiern.
Was würden Sie als den größten Rückschlag bezeichnen?
Friedrichs: Der größte Rückschlag war sicher, dass die Modellklauseln in den Berufsgesetzen verlängert wurden. Trotz positiver Evaluation wurden die Modell-Studiengänge in der Ergotherapie, Hebammenkunde, Logopädie, Pflege und der Physiotherapie Ende 2016 nicht in Regelstudiengänge überführt, sondern sind lediglich als Modellstudiengänge bis 2021 verlängert worden.
Welche Entscheidung ist Ihnen am schwersten gefallen?
Friedrichs: Schwierig waren für mich gar nicht so sehr Entscheidungen, die wir positiv treffen mussten, um die Hochschule weiterzuentwickeln, sondern die Schwierigkeit lag vielmehr in dem Umstand, dass wir nicht alles, was wir machen wollten, auch tatsächlich umsetzen konnten. Es gibt eben immer Beschränkungen
Wie ist die hsg Bochum auf die Entwicklung von Studiengängen wie ‚Gesundheit und Diversity‘ oder ‚Gesundheit und Sozialraum‘ gekommen?
Friedrichs: Wir haben sehr schnell gemerkt, dass die fünf Modellstudiengänge für das Spektrum ‚Gesundheit‘ zentral sind, aber ganz andere Faktoren eine ebenso wichtige Rolle spielen. Darum erschien uns eine über die klassischen Gesundheitsberufe hinausgehende interdisziplinäre Perspektive sinnvoll. Durch die Gründung des Departments of Community Health haben wir mit einer Stadtplanerin und auch mit einem Informatiker nun ganz neue Berufe an der Hochschule, die vielleicht auf den allerersten Blick dem Thema Gesundheit nicht so nahestehen. Doch die Diskussionen mit Techniker*innen, Wirtschaftswissenschaftler*innen oder Sozialwissenschaftler*innen ermöglichen einen ganz neuen Blick auf gesundheitsrelevante Fragestellungen.
Wenn Sie heute auf die hsg Bochum schauen, hat sie die Gründungsphase beendet und ist jetzt fertig?
Friedrichs: Wir haben im Jahr 2019 zwölf Studiengänge in einem breiten fachlichen Spektrum. Eine Hochschule ist nie fertig, sondern immer in der Entwicklung. Es ist die Aufgabe einer jeden Hochschulleitung, sich Gedanken darüber zu machen, wie diese Hochschule in fünf oder zehn Jahren aussehen soll und was man heute dafür tun muss, um diesen Weg zu bereiten.
"Eine Hochschule ist nie fertig, sondern immer in der Entwicklung."
Was muss in den nächsten fünf bis zehn Jahren passieren, um die Entwicklung der Akademisierung der Gesundheitsfachberufe voranzutreiben?
Friedrichs: Wir benötigen diesen politischen Schritt, der die Modellphase endlich beendet. Der Modellstatus hängt an uns wie ein Klotz am Bein. Es schadet unserer Außenwahrnehmung, dass sich unsere ersten fünf Studiengänge auch nach zehn Jahren noch in der Modellphase befinden. Uns ist zudem wichtig, dass wir nicht einfach nur ein neues Etikett bekommen. Wir brauchen tatsächlich die akademischen Freiheiten, die jeder andere Studiengang auch hat, damit wir unsere Studierenden bestmöglich ausbilden können.
Was wünscht sich die Hochschule von ihren kooperierenden Einrichtungen?
Friedrichs: Zunächst muss ich unseren Kooperationspartner*innen, die uns über viele Jahre sehr zuverlässig und konstruktiv unterstützt haben, ein großes Lob und Danke sagen für die langjährige verlässliche Unterstützung. Wir wünschen uns von ihnen, dass sie als diejenigen, die unsere Absolvent*innen mit ihren Kompetenzen am besten kennen, auch diejenigen sind, die eine Vorreiterrolle bei innovativen Modellen der Beschäftigung einnehmen.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten: Was würden Sie sich seitens der Politik wünschen?
Friedrichs: Von der Politik wünsche ich mir, dass sie das Thema Akademisierung weiter unterstützt. Und natürlich wünsche ich mir, dass wir so schnell wie möglich mit unseren Modellstudiengängen in den Regelbetrieb überführt werden. Für Nordrhein-Westfalen wünsche ich mir, dass das Thema Gesundheitscampus NRW weiter gestärkt wird.
Sie sind jetzt in Ihrer zweiten Amtszeit, streben keine weitere Wahl an und freuen sich auf die Feiern zum zehnjährigen Bestehen der Hochschule im Jahr 2019. Was würden Sie Ihrem*Ihrer Nachfolger*in mit auf den Weg geben wollen?
Friedrichs: Es ist gut, wenn nach zehn Jahren in der Leitung ein Wechsel stattfindet. Das bekommt jeder Einrichtung gut, wenn es neue Menschen mit neuen Perspektiven gibt, die vielleicht auch andere Schwerpunkte setzen. Was ich meiner*m Nachfolger*in wünsche, ist eine breite Unterstützung durch die Hochschule, die Region, die Kooperationspartner und auch durch die Politik.
Text: Das Interview führte Dr. Christiane Krüger, Leiterin des hsg-magazins. Der Text erschien am 29. Oktober 2019 im hsg-magazin.
Aufmacher: Prof. Dr. Anne Friedrichs nahm ihr Amt als Gründungspräsidentin der hsg Bochum Ende 2009 auf. Im Jahr 2019 feiert sie mit der hsg das zehnjährige Jubiläum der Hochschule. Foto: hsg Bochum/Jürgen Nobel