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Prof. Dr. Markus Zimmermann im Gespräch mit Tanja Breukelchen. Foto: hsg Bochum/Jürgen Nobel

„Der Pflegebedarf wird größer“

12. Mai 2019

Prof. Dr. Markus Zimmermann ist Gründungsdekan des Departments Pflegewissenschaft (DPW) und steht damit für Studieninhalte, die angesichts einer sich wandelnden Gesellschaft auf neue, große Herausforderungen reagieren.

Was sind die wichtigsten Entwicklungen in der Pflege, wenn man auf den gesellschaftlichen Wandel schaut?

Prof. Dr. Markus Zimmermann: Zum einen ist es die Demografie: die Veränderung der Bevölkerungsstruktur hin zu mehr älteren Menschen. Zum anderen die Epidemiologie: hin zu mehr chronischen Erkrankungen und Multimorbidität. Ältere Menschen haben häufig viele Erkrankungen, das macht die Aufgabenstellung in der Pflege und insgesamt im Gesundheitssystem komplizierter.

Zum Beispiel …

Zimmermann:… macht es einen Unterschied, ob jemand mit Diabetes und einer leichten Demenz ins Krankenhaus kommt und den Blinddarm entzündet hat oder ob ein elfjähriges Kind den Blinddarm entfernt bekommt. Ein alter Mensch braucht eine andere Versorgung – oftmals ist er im Krankenhaus alleine verloren, hat Schwierigkeiten sich zurechtzufinden, zu kommunizieren. Viele Krankenhäuser sehen verwirrte ältere Menschen immer noch als Sonderfall an, dabei ist es längst ein alltäglich, dass Menschen aus einer Pflegebedürftigkeit in die Klinik kommen.

"Die Aufgabenstellungen in der Pflege werden komplizierter"

Darauf hätte man schon längst reagieren müssen – das geht hin bis zum Umgang mit den Angehörigen, deren Wichtigkeit die Pflegewissenschaft früh reflektiert hat, die aber in der Praxis untergegangen ist. Der Pflegebedarf wird größer. Und komplizierter.

Und das bei immer weniger Pflegekräften.

Zimmermann: Es stehen zu wenig Stellen zur Verfügung, aber zunehmend auch zu wenige Pflegende, die diesen Beruf ausüben wollen. Dabei hat sich die Arbeit enorm verdichtet. Vieles geht im Massenbetrieb unter. Das gilt nicht nur für verkürzte Liegezeiten, sondern auch für die ambulante Pflege oder die Arbeit in Pflegeheimen.

Was bedeutet das für die Pflegenden?

Zimmermann: Dass sie nicht nur mehr wissen müssen, sondern auch andere Herangehensweisen brauchen. Wer heute in die Pflege geht, muss in der Lage sein, zu kommunizieren, Abläufe zu hinterfragen und zu optimieren.

Wie reagiert der Studiengang Pflege auf diese Herausforderung?

Zimmermann: Durch eine gezielte Verzahnung von Theorie und Praxis. Das bedeutet, die Studierenden lernen im Studium wissenschaftlich fundiert, interdisziplinär und interprofessionell zu arbeiten und eignen sich Kommunikations- und Beratungskompetenz an. Zugleich erlangen sie aber auch die Berufszulassung Pflege, denn sie haben genau so viel Praxis wie jemand, der es an einer Pflegeschule und einer Klinik oder einem Altenheim im Ausbildungsverhältnis lernt. Auf die Praxis und Patient*innen werden sie insbesondere im Skills-Lab vorbereitet.

Studierende der hsg Bochum lernen in den SkillLabs Theorie und Praxis zu verbinden.
In den SkillsLabs der hsg Bochum verbinden die Studierenden Theorie und Praxis miteinander. Foto: hsg Bochum/Jürgen Nobel

Wie reagieren aber eben die, die an einer Pflegeschule lernen – sehen Sie die akademisierten Pflegekräfte als Konkurrenz?

Zimmermann: Häufig kommen Fragen, ob die akademisierten Pflegekräfte die anderen später verdrängen. Dabei geht es hier um einen Wandel, wie man ihn von vielen Berufen kennt: Früher ist man Kauffrau oder Kaufmann geworden, heute studiert man BWL. Selbst der Zahnarzt oder die Zahnärztin war früher mal ein Ausbildungsberuf, irgendwann wurde daraus die Zahnmedizin. Und immer haben Menschen, die im Beruf waren Angst vor der Veränderung gehabt. Deshalb muss man informieren und klarstellen, dass wir hier keine künftigen Stationsleitungen ausbilden, sondern Pflegekräfte, die mit ein paar anderen Kompetenzen und Fähigkeiten die Berufsgruppe ergänzen und komplettieren. Außerdem plant die Politik nur einen Anteil von zehn bis zwanzig Prozent.

Was bedeutet das für die beruflichen Perspektiven?

Zimmermann: Die Akademisierung in der Pflege steckt immer noch in den Kinderschuhen. Es gibt bis heute keine eigenen Tarife für Pflegende mit Bachelor-Abschluss. Es gibt jedoch schon eine Extra-Tarifgruppe, wenn man Anteile seiner Tätigkeit wissenschaftlich durchführt. Und natürlich haben viele Einrichtungen erkannt, dass sie Wege finden müssen, akademisierte Pflegekräfte besser zu vergüten und Anreize zu schaffen, damit sie bleiben.


Text: Die Fragen stellte Tanja Breukelchen, freie Journalistin. Der Text erschien am 12. Mai 2019 im hsg-magazin.

Aufmacher: Zu sehen ist Prof. Dr. Markus Zimmermann im Interview mit Tanja Breukelchen. Foto: hsg Bochum/Jürgen Nobel

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