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Studien besser vergleichbar machen

8. September 2017

Studien lassen sich häufig trotz ähnlicher Fragestellung nicht vergleichen, weil zum Beispiel andere Dinge gemessen werden oder sich die Arten der Messungen zu sehr unterscheiden. Im Interview erklärt Prof. Dr. Christian Kopkow, Professor im Studienbereich Physiotherapie an der Hochschule für Gesundheit (hsg), warum hier so genannte Core Outcome Sets Abhilfe schaffen können.

Was sind denn überhaupt Core Outcome Sets und warum brauchen Wissenschaftler*innen sie?

Prof. Dr. Christian Kopkow: Core Outcome Sets sind die minimale Anzahl an zu messenden Endpunkten in einem bestimmten Bereich. Etwas anschaulicher kann man es vielleicht so erklären: Verschiedene Studien messen oft unterschiedliche Dinge. Die eine Studie misst zum Beispiel Schmerz, die andere Funktion und noch eine andere Lebensqualität bei Personen mit Schmerzen des Ellenbogens. Dadurch entstehen drei Studien, die jeweils eigentlich ganz unterschiedliche Sachen gemessen haben und daher nicht miteinander vergleichbar sind, obwohl sie vergleichbare Patienten*innen untersucht haben. Denn auch wenn zum Beispiel Schmerz und Lebensqualität sich mit Sicherheit gegenseitig beeinflussen, kann man beides ja nicht einfach gleichsetzen. Genau hier wird die Relevanz von Core Outcome Sets deutlich: Indem sich Personen auf bestimmte Punkte, die gemessen werden, einigen, können Studien miteinander verglichen werden.

Es gibt aber auch noch andere Gründe: Zum Beispiel sollte das, was gemessen wird, auch wichtig sein. Viele Personen, die Studien durchfürhen, messen intuitiv das, was für sie selber wichtig erscheint. Das muss dann aber nicht unbedingt das sein, was Patienten*innen wichtig ist. Deswegen sollten Patienten*innen an der Entwicklung von Core Outcome Sets beteiligt sein. Denn sie sehen Dinge nicht selten entscheidend anders als vielleicht ein*e Wissenschaftler*in, eine ärztliche oder therapeutische Fachkraft. Core Outcome Sets versuchen also durch den Einbezug von Patienten*innen die Patientenrelevanz aufzuzeigen, damit Forschung nicht an Patienten*innen vorbei passiert.

Könnten Sie ein aktuelles Projekt zu Core Outcome Sets, an dem Sie gerade arbeiten, etwas näher erläutern?

Kopkow: Bald wird ein internationales Projekt starten, in dem wir ein Core Outcome Set für Ellenbogenbeschwerden entwickeln. Zu Ellenbogenbeschwerden gibt es vergleichsweise deutlich weniger Forschung als zum Beispiel zu chronischen Schmerzen oder Schulterschmerzen. Nichtsdestotrotz denke ich, dass es wichtig ist, gerade zum jetzigen Zeitpunkt, wo es noch nicht so viel Forschung zum Thema gibt, ein Core Outcome Set zu entwickeln. So können wir erreichen, dass die Forschung, die dann zukünftig passieren wird, vergleichbar ist. An dem Projekt sind Personen aus ganz Europa, aus Australien und Amerika beteiligt. Insgesamt haben wir in der Projektgruppe viele der international namhaften Kliniker*innen auf dem Gebiet Ellenbogen zusammenbekommen, aber auch renommierte Wissenschaftler*innen und einige Patientenvertreter*innen. Schon das ist ein kleiner Erfolg und die Basis für ein erfolgreich verlaufendes Projekt. Gerade machen wir die ersten vorbereitenden Projektschritte, tatsächlich starten wird das Projekt dann Anfang 2018. Zusammen mit Prof. Dr. Philip Kasten, einem renommierten Ellenbogen- und Schulterchirurgen, der derzeitig Vorsitzender der Kommission Ellenbogen der Deutschen Vereinigung für Schulter- und Ellenbogenchirurgie e.V. (DVSE) ist, bin ich Leiter des Projekts. Mit Kasten habe ich in der Vergangenheit bereits erfolgreich klinisch als auch wissenschaftlich zusammengearbeitet. Er als erfahrener Chirurg sowie ich als Physiotherapeut mit Erfahrung  in der Entwicklung von Core Outcome Sets aus anderen Projekten, an denen ich beteiligt war und bin, können unsere Expertisen in diesem Projekt ideal bündeln.

"Bald wird ein internationales Projekt starten, in dem wir ein Core Outcome Set für Ellenbogenbeschwerden entwickeln", Prof. Dr. Christian Kopkow, Professor im Studienbereich der Physiotherapie an der Hochschule für Gesundheit (hsg) und Leiter des Projekts

Was genau sind denn die nächsten Schritte, die in dem Projekt anstehen?

Kopkow: Das Protokoll für die Studien, in dem die einzelnen Schritte des Projekts festgelegt sind, ist bereits geschrieben und wird gerade mit allen Beteiligten abgestimmt. Dieses wird dann auch in einer internationalen Fachzeitschrift publiziert werden, damit es für alle zugänglich ist und jeder unsere Methoden nachvollziehen kann. Wir wollen also ganz klar Transparenz schaffen. Mit der tatsächlichen Projektarbeit starten werden wir idem wir eine systematische Übersichtsarbeit machen und schauen, was in den Studien, die es bisher gibt, erfasst und berichtet wird. Das Ganze ist dann die Grundlage für ein internationales Abstimmungsverfahren. In diesem sind Kliniker*innen, Patienten*innen und Wissenschaftler*innen aufgefordert abzustimmen, was die für sie wichtigen Dinge sind. Ist zum Beispiel Schmerz wichtiger als Lebensqualität – oder andersherum? Die Ergebnisse werden dann wieder in der Projektgruppe diskutiert. So finden wir die minimal wichtigen Dinge heraus.

Als nächsten Schritt müssen wir dann schauen, ob es dafür Messinstrumente gibt. Gibt es zum Beispiel einen Fragebogen, durch den ich die minimal wichtigen Dinge erfassen könnte? Wenn es gleich mehrere Fragebögen gibt, muss auch hier wieder entschieden werden: Welcher ist besser und welcher ist schlechter? Das ist etwas trockene Wissenschaft, aber am Ende kann man dann eine Empfehlung aussprechen und ganz deutlich anhand vorab festgelegter Kriterien sagen, warum ein bestimmter Fragebogen geeignet oder ungeeignet ist. Auch diese Ergebnisse werden natürlich wieder international abgestimmt.

Idealerweise hat man dann nach diesen Übersichtsarbeiten und den Abstimmungsverfahren ein Ergebnis: Das finale Core Outcome Set. In diesem wird dann empfohlen, was bei jeder Studie zum Ellenbogen auch gemessen werden sollte und wie es gemessen werden sollte. Und das spannende an Core Outcome Sets ist ja, dass sie immer wieder überprüft werden. Sind die Ergebnisse noch aktuell? Gibt es vielleicht neue Messmethoden? Ist ein neuer Aspekt wichtig geworden? Daher kann man nach etwa drei, vier oder vielleicht auch fünf Jahren das ganze Core Outcome Set eigentlich aktualisieren. So kann ein Core Outcome Set irgendwie auch zu einer Lebensaufgabe für die Wissenschaftler*innen werden.

 


 

Das Interview führte Dr. Anna Knaup, Online-Redakteurin des hsg-magazins.
Aufmacher: hsg

Ein wissenschaftliche Beitrag kann zur Vertiefung dienen: Prof. Kopkow zu Core Outcome Sets

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