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Das Bild zeigt auf dem Ausschnitt einer Weltkarte die Lage von Syrien.
Foto: Pixabay

Flucht für eine berufliche Perspektive

17. März 2022

Als sie sich vor knapp sechs Jahren auf den Weg nach Deutschland macht, weiß sie nicht, was sie erwartet. Im Gepäck hat sie nur das Nötigste. Im Herzen aber trägt sie einen großen Wunsch. Die junge Syrerin möchte studieren und danach in der Gesundheitsbranche arbeiten. Ein Ziel, das sie bis heute entschlossen verfolgt. Esraa Youns studiert an der Hochschule für Gesundheit (HS Gesundheit) in Bochum den Bachelorstudiengang Hebammenkunde, unterstützt durch ein Studienstipendium des Förderprogramms „NRWege ins Studium“.

Ihr Weg an die HS Gesundheit war weit: Bis zur zehnten Klasse geht Esraa Youns in ihrem Geburtsort nahe Damaskus zur Schule, dann treiben sie die Kriegszustände in die syrische Hauptstadt. Dort absolviert sie ihr Abitur, studiert zwei Semester Chemie. „Aber wir fühlten uns auch in Damaskus nach einem Jahr nicht mehr sicher. Meine Eltern blieben im Libanon, meine Schwester, mein Bruder und ich entschieden uns, nach Deutschland zu flüchten.“ Damals ist Esraa Youns 20 Jahre alt. Fast zehn Tage sind sie auf der Flucht. Tage voller Angst, ob sie die Flucht schaffen. Tage voller Ungewissheit über die Zukunft danach. „Wir wussten, dass die Flucht ein harter Weg werden wird, dennoch waren wir entschlossen: Egal was auf dem Weg passieren wird, wir wollen flüchten. Unser Ziel war es zu studieren und eine gute Arbeit zu finden – dafür sahen wir auch im Libanon keine Chance.“

Seit fast sechs Jahren lebt Esraa Youns nun mit ihren Geschwistern in Deutschland. Sie versucht die Erinnerungen an jene Flucht so gut es geht zu vergessen, nicht zurück, sondern nach vorne zu schauen. „Das Studium an der Hochschule für Gesundheit, die Aussicht auf das Arbeiten als Hebamme, helfen mir dabei. Als ich in Deutschland ankam, hatte ich zunächst nicht vor, Hebamme zu werden. Ich wollte Medizin studieren und als Ärztin in einem Krankenhaus arbeiten. Meine Abiturnoten waren gut, doch für eine Zusage zu einem Medizinstudium reichten sie nicht aus. Da war ich verzweifelt“, erzählt Esraa Youns. Sie besucht einen Sprachkurs und entscheidet sich ihr Chemiestudium an der Ruhr-Universität Bochum fortzusetzen. Nebenbei engagiert sie sich ehrenamtlich, verteilt Essen und Getränke an Obdachlose oder erklärt Senior*innen den Umgang mit einem Handy. Ein Jahr besucht sie die Vorlesungen. „Es war interessant, aber ich habe mich nicht wohl gefühlt. Mein Traum blieb die Medizin, weil ich etwas mit Menschen machen will. Etwas, wo ich Menschen helfen kann.“

Gemeinsam mit ihrem Mann überlegt Esraa Youns, wie sie auch ohne ein Medizinstudium in der Gesundheitsbranche arbeiten, Menschen eine Stütze sein kann. Da erinnert sie sich an die Geburt ihres Kindes. „Bei der Geburt war eine junge Frau dabei. Sie war sehr nett und ich wusste, dass sie Studentin an der Hochschule für Gesundheit in Bochum ist. Aber ich wusste nicht, was sie studiert. Mein Mann und ich grübelten, was diese Frau wohl studieren würde. Ich wusste damals nicht viel über den Werdegang einer Hebamme, ich dachte, dass man dafür eine Ausbildung macht, nicht, dass man das studieren kann.“ Esraa Youns stöbert auf der Homepage der HS Gesundheit und stößt auf den Studiengang Hebammenkunde, der seit dem Wintersemester 2021/2022 in dem neuen Bachelorstudiengang Hebammenwissenschaft aufgeht. Sie zögert nicht lange und bewirbt sich um einen Studienplatz. Mit Erfolg. „Anfangs war es nicht einfach, ich fühlte mich allein. Aber ich habe Freunde gefunden. Vor allem, weil wir eine kleine Kohorte sind, das hat sehr geholfen. Und, weil wir im Studium viele Aufgaben bekommen, die wir in einer Gruppe, also nur zusammen lösen können, dadurch gewinnt man Kontakte“, erzählt Esraa Youns. „Das Studium gefällt mir sehr, weil es praxisnah ist. Ich habe bereits ein Praktikum in einem Krankenhaus absolviert, dort auf der Geburtenstation und im Kreißsaal helfen können, das war toll.“ Aktuell sammelt Esraa Youns, so sieht es der Studienplan vor, bei einer freiberuflichen Hebamme praktische Erfahrungen in der Vor- und Nachsorge. Esraa Youns lächelt, wenn sie davon erzählt. Auch mit dem theoretischen Lernstoff kommt die 25-Jährige, die bereits im vierten Semester ist, gut zurecht.

Esraa Youns: „Das Studium gefällt mir sehr, weil es praxisnah ist. Ich habe bereits ein Praktikum in einem Krankenhaus absolviert, dort auf der Geburtenstation und im Kreißsaal helfen können, das war toll.“

Seit dem Wintersemester 2021/2022 erhält Esraa Youns ein Studienstipendium aus dem Förderprogramm „NRWege ins Studium“. Das Programm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) wurde für Hochschulen in Nordrhein-Westfalen und Studierende, die einen Fluchthintergrund haben, konzipiert, mit Unterstützung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft (MKW) des Landes NRW. Das Stipendium ist Esraa Youns für ein Jahr eine finanzielle Hilfe, doch das nicht allein. So fördert es auch eine individuelle Beratung und Begleitung während des Studiums. Esraa Youns hat dadurch einen noch engeren Kontakt zum International Office der HS Gesundheit gewonnen. Genauer, zu Johanna Rolf, die als Projektkoordinatorin für „NRWege ins Studium“ im International Office tätig ist. Alle zwei Wochen treffen sich die beiden. „Wir tauschen uns aus, wie es im Studium läuft, ob ich mich wohl fühle oder bei irgendetwas Hilfe benötige. Für mich ist das ein wichtiger Austausch, der mich stärkt und vor allem auf sozialer Ebene unterstützt. An der Hochschule eine direkte Bezugsperson zu haben, das habe ich gebraucht und hilft mir sehr“, erzählt Esraa Youns. Ob sie nochmal an ein Medizinstudium gedacht hat? „Die Medizin und der Beruf als Ärztin bleibt in meinem Herzen. Aber ich fühle mich sehr wohl in dem Studiengang und möchte dieses Studium unbedingt erfolgreich abschließen“, sagt sie und ergänzt: „Dieses Studium hat schon jetzt meinen Wunsch erfüllt.“

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