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Foto: Shutterstock / Khongtham

„Das Gesundheitswesen spielt mit Blick aufs Klima eine Doppelrolle“

25. Oktober 2022

„Der Klimawandel beeinflusst auf unterschiedliche Weise unsere Gesundheit. Wenn wir uns also um die Gesundheit unseres Planeten kümmern, kümmern wir uns zugleich um unsere eigene“, sagt Sonja Schmalen, Netzwerkkoordinatorin von Health for Future. In der Initiative setzen sich Akteur*innen aus Gesundheitsberufen für mehr Klima- und Gesundheitsschutz ein. Im Interview verrät Sonja Schmalen, welche gesundheitlichen Folgen die Klimakrise haben kann, wie auch das Gesundheitswesen einen CO2-Fußabdruck hinterlässt und welche wichtige Rolle Bildung einnehmen kann. Apropos Bildung: Studierende der HS Gesundheit sind darüber hinaus aktuell herzlich eingeladen, an einer Online-Ringvorlesung der Universität Witten/Herdecke rund um die Frage wie die Digitalisierung im Gesundheitswesen zur planetaren Gesundheit und insbesondere zum Klimaschutz beitragen kann, teilzunehmen.

Womit befasst sich Planetary Health?

Sonja Schmalen: Planetary Health ist ein Konzept wie Public Health oder Global Health. Es beschäftigt sich mit den Zusammenhängen zwischen der menschlichen Gesundheit und den politischen, ökonomischen und sozialen Systemen, sowie den natürlichen Systemen unserer Erde, von der unsere Existenz abhängt. Es ist ein Aufruf zum Handeln. Denn Planetary Health sagt, dass der Mensch nur dann gesund leben kann, wenn seine Umwelt, die uns umgebenden Ökosysteme ebenfalls gesund sind. Schädigen wir die Umwelt, schädigen wir auch unserer Gesundheit. Wir sind ein Teil der Natur. Wir atmen Luft, trinken Wasser, essen andere Lebewesen, die Natur durchdringt uns. Planetary Health ermahnt uns Menschen also mit ökologischen Ressourcen bedacht zu haushalten, so wie jeder oder jede von uns auch privat mit seinen finanziellen Ressourcen bedacht haushaltet. Bedacht meint, mit Blick auf Grenzen. Denn wir haben planetare Grenzen und Kipppunkte, die irreversible sind. Planetary Health sucht lösungsorientierte Ansätze, die eine Win-Win-Situation, sogenannte Co-Benefits, für die Gesundheit der Erde und die Gesundheit des Menschen ergeben.

Wo haben wir bereits Grenzen überschritten?

Sonja Schmalen: Wir sind mitten in der Klimakrise, da wir bereits planetare Grenzen überschritten haben. Und mit wir meine ich uns Menschen. Wir müssen uns bewusst darüber werden, dass die Krise vom Menschen gemacht ist. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Zunehmende anthropogene Treibhausgas-Emissionen verändern die klimatischen Bedingungen. Wir Menschen kommen mit diesen veränderten Klimabedingungen über verschiedene Wege in Kontakt: Ein Beispiel ist die Luftverschmutzung, ein anderes die extreme Hitze und Hitzewellen, die dazu führen, dass wir auch in den Sommermonaten nachts kaum mehr eine Abkühlung bekommen. Längere und vor allem auch wärmere Sommer, die Pflanzenwachstum fördern, begünstigen den Pollenflug und damit die Zunahme von Allergenen. Wir erleben extreme Wettereignisse wie die Überflutung im Ahrtal oder in Pakistan, langanhaltende Dürreperioden, die sich auf unsere Versorgung mit Nahrungsmitteln auswirken, wie dieses Jahr in Italien und sehen ein größeres Verbreitungspotenzial für Krankheiten, die durch Vektoren wie Mücken oder Zecken übertragen werden.

Foto: Health for Future

Und die gesundheitlichen Folgen?

Sonja Schmalen: Die sind vielfältig. Feinstaub, den wir über die Luft zu uns nehmen, kann Atemwegserkrankungen begünstigen. Eingereiste Insekten und Parasiten können mit dem wärmeren Klima bei uns länger überleben und so Infektionskrankheiten verbreiten, die in unseren Breiten sonst nicht so häufig vorkommen. Naturkatastrophen sind mögliche Auslöser von psychischen Erkrankungen, sei es von Angststörungen bis hin zu Traumata. Menschen, die ihr Zuhause, ihre Existenz verlieren, haben ein höheres Risiko eine psychische Erkrankung zu entwickeln. Ein großes Problem ist auch die Hitze: Sie kann beispielsweise das Herz-Kreislauf-System stark belasten, kardiovaskuläre Erkrankungen verschlimmern und das Risiko für einen Herzinfarkt vergrößern. Hitze kann dazu beitragen das Einlieferungen in die Notaufnahmen steigen und zu mehr Krankenhausaufenthalten führen. Hier, und bei allen anderen Auswirkungen, sind es Menschen in den Gesundheitsberufen, die mit all dem im Berufsalltag in Berührung kommen. Die Klimakrise belastet das gesamte Gesundheitswesen. Deshalb sind Klimaschutz und Gesundheitsschutz untrennbar.

Umgekehrt trägt das Gesundheitswesen auch mit zum Klimawandel bei.

Sonja Schmalen: Das ist richtig, das Gesundheitswesen spielt mit Blick aufs Klima eine Doppelrolle. Es ist die heilende Kraft, da es Folgeerkrankungen behandelt. Es ist aber auch Mitverursacher. Für über fünf Prozent der Treibhausgas-Emissionen hierzulande ist der Gesundheitssektor verantwortlich. Das ist ungefähr vergleichbar mit der Menge an Emissionen, die von dem globalen Schiffs- und Flugverkehr gemeinsam ausgestoßen wird. Damit trägt der Gesundheitsbereich wesentlich zum Klimawandel bei. Allein um die 50 bis 60 Prozent durch Lieferketten, denn der Gesundheitsbereich ist sehr materialintensiv. Zudem ist der Gesundheitssektor sehr energie-, mobilitäts- und abfallintensiv. Wir müssen daher im Gesundheitswesen nicht nur auf Kosten, sondern zusätzlich auch auf Nachhaltigkeit beziehungsweise sozial-ökologische Indikatoren schauen. Ein Beispiel: Handschuhe. Die werden im Klinikalltag in großen Mengen gebraucht. Wir sollten beim Einkauf aber nicht nur schauen, wie teuer die Handschuhe sind, sondern auch wie und wo diese produziert werden.

Die HS Gesundheit entwickelt aktuell neue Angebote rund ums Thema Nachhaltigkeit und zwar in Verbindung mit ökonomischen Fragestellungen. Für wie wichtig halten Sie eine frühe Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit auch bereits während des Studiums?

Sonja Schmalen: Für absolut wichtig. Bildung ist ein essentieller Zweig und wichtiger Hebel zur Bewältigung der Klimakrise. Ich beobachte im Hochschulbereich auch, dass immer mehr Abschlussarbeiten von Studierenden nachhaltiges Denken und Handeln einbinden. Auf diese Weise wird mehr geforscht und es entsteht am Ende ein größeres Wissen rund um Nachhaltigkeit. Außerdem sind es die Studierenden, die den Nachhaltigkeitsgedanken dann auch weiter in den Berufsalltag tragen, den Zusammenhang zwischen Klimaschutz und Gesundheitsschutz thematisieren und dafür sensibilisieren können. Wir können gemeinsam eine Zukunft mit Lebensqualität gestalten, ein Schlüssel zum Erfolg liegt für mich insbesondere in der transdisziplinären Zusammenarbeit.


 

Einladung zur Online-Ringvorlesung „Digital Medicine goes Planetary Health“

Apropos transdisziplinär: Studierende der HS Gesundheit sind aktuell herzlich eingeladen an der öffentlichen Online-Ringvorlesung „Digital Medicine goes Planetary Health“ teilzunehmen. Die Vorlesungsreihe, die sich quer durchs Wintersemester 2022/2023 zieht und von der Universität Witten/Herdecke in Kooperation mit Health for Future veranstaltet wird, ergründet Zusammenhänge zwischen der Klimakrise und der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Nähere Informationen – auch zur Registrierung – gibt’s hier.

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