Willkommen im virtuellen Hörsaal
Heilerziehungspfleger David Truszczynski sucht Antworten auf die drängendsten Fragen im Gesundheitswesen, deswegen studiert er parallel zum Beruf: „Gesundheit und Sozialraum“ an der Hochschule für Gesundheit, Bochum. Was es für ihn bedeutet berufsbegleitend zu studieren und welche Erfahrungen er macht, wenn er den virtuellen Hörsaal betritt, erzählt der 28-Jährige bei einem Kaffee.
Mit einer dampfenden Tasse Kaffee lehnt sich David Truszczynski (28) auf seinem Wohnzimmersofa zurück. Im Hintergrund läuft leise Musik. Der Heilerziehungspfleger aus Dinslaken kommt gerade vom Frühdienst. In einem Wohnheim für geistig Behinderte hatte er am Morgen die Bewohner geweckt, ihnen das Frühstück gemacht, ihre Medikamente bereitgelegt. Einige, die dabei Hilfe benötigten, hat er aus dem Bett gehoben, gewaschen und angezogen. Ein harter Job. Und doch eine Arbeit, die er seit Jahren liebt und die ihn erfüllt. Wer ihn jetzt so entspannt auf dem Sofa sitzen sieht, könnte meinen, er erholt sich von den Strapazen des Morgens. Das alles wirkt ja ein wenig wie Chillen, wie Ausspannen. Doch genau das macht David Truszczynski nicht. Er klappt sein Laptop auf, betritt eine Art virtuellen Hörsaal, tauscht sich mit seinen Kommilitonen aus, schaut in der Lerngruppe vorbei, besucht eine Vorlesung … David Truszczynski studiert.
E-Learning und Online-Studium, genau diese Chance war es, auf die er gewartet hatte. Und dabei wusste er lange Zeit gar nicht, dass es so etwas gibt. „Ich habe 2008 mein Abitur gemacht und dann ein Psychologiestudium angefangen“, erzählt er. „Während des Studiums habe ich, um Geld zu verdienen, auf 400-Euro-Basis in einer Behinderteneinrichtung gearbeitet. Mir hat die Arbeit mit den Menschen im Wohnheim unglaublich gut gefallen. Deshalb habe ich nach drei Jahren das Studium aufgegeben und lieber eine praxisintegrierte Ausbildung zum Heilerziehungspfleger gemacht.“
Die perfekte Kombination: Arbeiten und Lernen
Halb Schule, halb Beruf – für David Truszczynski war das damals schon die perfekte Kombination. Nach drei Jahren schloss er die Ausbildung ab und arbeitet seitdem im Wohnheim: „Ich arbeite im Schichtdienst, entweder von 6 bis 14 Uhr oder von 14 bis 22 Uhr“, erzählt er. „Die Menschen, die ich versorge, sind geistig behindert. Viele von ihnen haben eine Doppeldiagnose, also zusätzlich noch psychische Störungen oder sie sind schwerstmehrfach-behindert. Sie arbeiten in Vertragswerkstätten und kommen am Nachmittag wieder in die Einrichtung zurück. Dann wird Kaffee getrunken und wir unternehmen etwas, machen Ausflüge, sofern die Zeit es zulässt. Für jeden Bewohner haben wir individuelle Hilfepläne, an denen wir uns orientieren, auf denen steht, was wir bei den Leuten fördern oder erhalten wollen.“
Doch so sehr er in seinem Beruf auch aufgeht, so ist ihm auch bewusst, wie eng die Grenzen darin für ihn gesteckt sind: „Es ist auf Dauer eine körperlich und psychisch unglaublich schwere Arbeit, weil man häufig auf mehrere Leute gleichzeitig achten muss, die zum Teil ein sehr herausforderndes Verhalten haben. Gleichzeitig muss man auch Menschen pflegen, die extrem übergewichtig sind, die im Rollstuhl sitzen – das macht die Arbeit auch körperlich extrem schwer.“ Neben der physischen und psychischen Belastung und der eher geringen Bezahlung ist da aber auch noch ein Gefühl, nicht genug verändern zu können: „Ich habe häufig das Bedürfnis, Dinge verändern zu wollen, aber ohne eine entsprechende Qualifikation an meine Grenzen zu stoßen. Man ist im Arbeitsalltag so eingespannt, dass man viele Dinge einfach akzeptiert und höchstens dem Einzelnen helfen, nicht aber am System etwas verändern kann.“ Und das in einer Zeit, in der sich die Gesellschaft immer schneller verändert und der demographische Wandel ganz neue Anforderungen an die Menschen in Gesundheitsberufen stellt. Eine Zeit, in der Menschen wie David Truszczynski mitgestalten, Dinge verbessern, Probleme anpacken wollen.
„Ich habe häufig das Bedürfnis, Dinge verändern zu wollen, aber ohne eine entsprechende Qualifikation stoße ich an meine Grenzen.“
David Truszczynski
Aber wie? David wollte nicht komplett von vorn anfangen, seinen Beruf für ein erneutes Studium aufgeben. „Deshalb hatte ich die ganze Zeit über nach einer Möglichkeit gesucht, zu studieren und trotzdem weiter zu arbeiten. Die Vorstellung, meine Arbeit komplett aufgeben zu müssen und danach wieder bei Null anzufangen, hatte mich bis dahin von einem Studium abgehalten.“ Alles wurde anders, als eine Freundin ihm den Flyer der Hochschule für Gesundheit zeigte. Der darauf vorgestellte Studiengang „Gesundheit und Sozialraum“, war für David Truszczynski auf den ersten Blick das, worauf er lange gewartet hatte: „Der Vorschlag hat mich total interessiert, weil es um einen Studiengang geht, der Perspektiven für die Zukunft hat.“
Der berufsbegleitende Studiengang „Gesundheit und Sozialraum“ endet nach acht Semestern mit dem Bachelor of Arts und hat Schwerpunkte wie Wissenschaftliches Arbeiten, Gesundheitswissenschaften, Sozialraum-/Quartiersgestaltung, Nutzerorientierung, Informations-, Kooperations- und Interventionsprozesse, Telemedizinische Anwendungen oder Projektmanagement. In den Seminaren und Vorlesungen wird unter anderem danach gefragt, wie eine behinderten- und altengerechte Quartiersentwicklung in der Zukunft aussehen kann, wie Teilhabe geschaffen und Hilfsangebote vernetzt und koordiniert werden können.
Den Wandel der Gesellschaft mitgestalten
Ein Studium, das auf alles eine Antwort gibt, was unsere Gesellschaft gerade so sehr verändert, findet David Truszczynski: Inklusion, pluralistische Gesellschaft, demographischer Wandel. Und ein Studium, das ihm Möglichkeiten eröffnet, die er bis dahin zum Teil noch gar nicht gekannt hatte. Ob er in zehn Jahren noch immer im Bereich der Pflege arbeiten wird, kann er deshalb heute noch gar nicht sagen: „Wenn ich das Studium abgeschlossen habe, möchte ich in einen Bereich gehen, in dem ich Einfluss nehmen kann. Da gibt es viele Möglichkeiten: Quartiersmanagement, Gesundheitsinstitutionen wie Pflegeheime, Krankenhäuser oder Jugendheime, Krankenkassen, Bau- und Gesundheitsämter; man könnte aber auch in städtischen Architektenbüros als eine Art Raumplaner arbeiten, der Räume mit dem Augenmerk auf gesundheitliche Aspekte plant.“
Voraussetzungen für den Studiengang waren eine abgeschlossene Berufsausbildung im Gesundheitswesen und eine Hochschulzugangsberechtigung. Und beides hatte Truszczynski: „Klar, ein Laptop oder PC sind hilfreich, aber das hat heutzutage fast jeder. Besondere Kenntnisse brauchte man aber nicht. Die Lernplattform, auf der die Inhalte aktuell hochgeladen werden und über die man sich mit anderen Studierenden austauschen kann, ist selbsterklärend, auch wenn uns die Hochschule die Möglichkeit gab, eine Einführung und Beratung zu bekommen. Das haben aber die meisten von uns gar nicht gebraucht.“
Zeitmanagement: Studium und Beruf vereinbaren
Etwas komplizierter als das E-Learning an sich war das Zeitmanagement. Denn David Truszczynski muss immerhin seinen Beruf, den er auf eine halbe Stelle reduziert hat, und das Studium koordinieren. „Wenn die Uniphase beginnt und viele Fächer gleichzeitig laufen, sehe ich mir für den Monat meine Dienstpläne an und schaue, wo ich Zeiten fürs Studium finden kann. Rund zwei Stunden Lernen pro Tag sollte man mindestens einplanen“, erklärt er. „Und dann setze ich mich, so wie jetzt, mit einem Kaffee auf die Couch oder an meinen Schreibtisch. Und lerne.“
Der Semesterbeitrag, sei mit aktuell rund 300 Euro pro Semester sehr moderat, Zusatzausgaben für teure Literatur, wie er es noch aus seinem Psychologiestudium kennt, gebe es nicht. Die meiste Literatur werde in Form von E-Books bereitgestellt. Und die Lernplattform Moodle sei fast schon so, als ginge er ganz normal in ein Klassenzimmer: „Das ist richtig gut gemacht. Man sieht die verschiedenen Wochen, die verschiedenen Themen, die alle im Kurs hinterlegt sind, und es werden nach und nach, Woche für Woche, neue Inhalte hochgeladen. Die Vorlesungen werden speziell für uns berufsbegleitend Studierende aufgenommen. Dazu kommen Aufgaben, die wir freiwillig bearbeiten und unserer Professorin zuschicken können. Darauf bekommen wir von ihr ein Feedback.“
Praxisnähe im Blockunterricht
Regelmäßige Präsenztreffen an Wochenenden und in einer Woche Blockunterricht einmal pro Semester ergänzen das ansonsten rein virtuelle Studium – „außerdem haben wir inzwischen eine gemeinsame Facebook-Gruppe, eine WhatsApp-Gruppe und eine ‚echte’ Lerngruppe, in der wir uns vor den Klausuren treffen.“
Während der Präsenzveranstaltungen können die Studierenden alle Annehmlichkeiten nutzen, die der neue Bau der Hochschule zu bieten hat: „Wir sind dort optimal vernetzt. Außerdem gibt es eine unglaublich moderne und praxisnahe Ausstattung.“ Kleine Wohnungen zum Beispiel, in denen die Studierenden testen können, wie es ist, seinen Alltag vom Rollstuhl aus meistern zu müssen. So können sie an ganz praktischen Beispielen testen, was einen Raum alten- oder behindertengerecht macht.
Auch auf die Gefahr hin, dass sie mittelfristig vielleicht einen engagierten Mitarbeiter verliert, ist Davids Chefin von seinem beruflichem „Doppelleben“ begeistert und stellt ihn gerne hin und wieder für eine Woche Blockseminar frei. „Sie findet das berufsbegleitende Studium extrem gut und sagt, die darin behandelten Themen haben alle große Brisanz für die Zukunft.“ 2019 wird David voraussichtlich seinen Bachelor haben und damit die Chance auf ganz neue Möglichkeiten, mehr Kreativität und Mitbestimmung, einen besseren Verdienst und geringere Belastung. Bis dahin heißt es durchhalten: „Man muss immer am Ball bleiben und jeden Tag genau planen. Und dann konzentriert lernen.“ – Mit einer dampfenden Tasse Kaffee.
Text: Tanja Breukelchen, freie Journalistin
Aufmacher: hsg